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    Aktienbesteuerung verfassungswidrig

    Seit der grundlegenden Reform der Besteuerung von Einkünften aus Kapitalvermögen im Jahr 2008 unterliegen Gewinne aus der Veräußerung von Aktien unabhängig von einer Haltedauer der Kapitalertragsteuer mit einem pauschalierten Satz von 25 %. Im Gegenzug können Verluste aus Einkünften aus Kapitalvermögen auch nur mit Gewinnen aus Einkünften aus Kapitalvermögen verrechnet werden.

    Eine besondere Begrenzung der Verlustverrechnung sieht § 20 Abs. 6 S. 4 Einkommensteuergesetz (EStG) für Verluste aus der Veräußerung von Aktien vor. Diese dürfen auch nur mit Gewinnen aus der Veräußerung von Aktien verrechnet werden und nicht mit sonstigen Einkünften aus Kapitalvermögen.

    Diese besondere Verlustverrechnungsbeschränkung für Verluste aus der Veräußerung von Aktien hält der Bundesfinanzhof (BFH) für verfassungswidrig. Mit Beschluss vom 17. November 2020, VIII R 11/18, der erst jetzt veröffentlicht worden ist, hat der BFH dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Frage vorgelegt, ob § 20 Abs. 6 S. 5 EStG in der Fassung vom 14.08.2007 (= § 20 Abs. 6 S. 4 EStG der aktuellen Fassung) mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) vereinbar ist.

    Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 GG gebietet es dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Art. 3 Abs. 1 GG bindet damit den Steuergesetzgeber an den Grundsatz der Steuergerechtigkeit, der es erfordert, die Besteuerung an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auszurichten. Im Interesse der verfassungsrechtlich gebotenen steuerlichen Lastengleichheit muss darauf abgezielt werden, Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch zu besteuern.

    Nach Ansicht des Bundesfinanzhofs führt die Beschränkung der Verrechnung von Verlusten aus Aktienverkäufen mit Gewinnen aus Aktienverkäufen zu einer Ungleichbehandlung, für die es selbst bei einer Prüfung anhand des Willkürmaßstabs an einem hinreichend rechtfertigenden Grund fehlt.

    Der BFH ist insbesondere der Ansicht, dass die von dem BVerfG in früheren Entscheidungen gebilligte differenzierte Besteuerung von Einkünften aus Kapitalvermögen keine Rechtfertigung dafür darstellen kann, innerhalb der verschiedenen Arten von Kapitaleinkünften eine weitere Differenzierung für Verluste aus Aktienverkäufen vorzunehmen.

    Die Begründung des Gesetzgebers, nach der die Sonderregel erforderlich sei, um den Fiskus davor zu schützen, in einer Phase anhaltender starker Kursrückgänge an der Börse (Aktienbaisse) in vollem Umfang mit Verlusten aus hochspekulativen Aktienverkäufen belastet zu werden, sieht der BFH nicht als ausreichende Rechtfertigung an. Nach Ansicht des BFH überschreitet der Gesetzgeber damit die Grenzen einer zulässigen Typisierung.

    Die Annahme des Gesetzgebers, auch bei Eintritt eines Börsencrashs würden trotz erheblicher Veräußerungsverluste andere positive Kapitalerträge (z.B. Zins- und Dividendenerträge und Veräußerungsgewinne gemäß § 20 Abs. 2 EStG) in einem Maße erzielt, dass die dadurch ermöglichte Verlustverrechnung ein strukturelles Haushaltsrisiko für den Fiskus aufgrund massiver Steuerausfälle mit sich bringen würde, ist jedoch nach Ansicht des BFH nicht ohne weiteres realitätsgerecht.

    Der Bundesfinanzhof bestätigt mit seinem Vorlagebeschluss die erheblichen verfassungsrechtlichen Zweifel, die seit langem in der Literatur an der Verlustverrechnungsbeschränkung für Aktienverkäufe vorgebracht werden. Aufgrund der sehr ausführlichen und detaillierten Begründung des Vorlagebeschlusses kann mit gutem Grund angenommen werden, dass auch das Bundesverfassungsgericht die verfassungsrechtlichen Zweifel an dieser Regelung teilt. Ob das Verfassungsgericht die Regelung allerdings rückwirkend für nichtig erklärt oder, wie häufig in letzter Zeit, lediglich eine Änderung für die Zukunft vom Gesetzgeber verlangt, bleibt abzuwarten.

    Betroffenen, die über entsprechende Verlust aus Aktienverkäufen verfügen, ist dringend zu raten, Einspruch gegen alle noch offenen Steuerbescheide einzulegen und das Ruhen des Einspruchsverfahrens unter Hinweis auf den Vorlagebeschluss des BFH zu beantragen.

    Dr. Uwe Scholz

    In folgendem Newsletter erschienen : Newsletter 6/21

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