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    Beim Irrtum über die Arbeitgeberstellung: keine Strafbarkeit nach § 266a StGB!

    Vorsätzliches Handeln ist bei pflichtwidrig unterlassenem Abführen von Sozialversicherungsbeiträgen ist nur dann anzunehmen, wenn der Täter eine Stellung als Arbeitgeber und die daraus resultierende sozialversicherungsrechtliche Abführungspflicht zumindest für möglich gehalten und deren Verletzung billigend in Kauf genommen hat.

    Dem Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24.09.2019 – 1 StR 346/18, lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Angeklagter hat über ein Einzelunternehmen osteuropäische Pflegekräfte in Privathaushalte in Deutschland vermittelt. Die von der jeweiligen Pflegekraft konkret zu erbringende Tätigkeit wurde von der zu pflegenden Person oder einem Angehörigen bestimmt. Die Pflegekräfte wurden von dem verantwortlichen Ansprechpartner in der Familie in die von ihnen jeweils erwartete Tätigkeit eingewiesen und kontrolliert. Die Aufgaben der Pflegekräfte bestanden in der Regel in der Beaufsichtigung und Versorgung der zu pflegenden Person, einfachen pflegerischen Tätigkeiten sowie der Haushaltsführung. Neben dem Lohn erhielten die Pflegekräfte freie Unterkunft sowie Vollverpflegung. Die Pflegekräfte wurden nicht zur Sozialversicherung angemeldet, Sozialversicherungsbeiträge wurden nicht abgeführt.

    Aufgrund der Ausgestaltung der Beschäftigungsverhältnisse nahm das Landgericht Augsburg an, dass die Pflegekräfte bei den zu pflegenden Personen bzw. den jeweils handelnden Angehörigen abhängig beschäftigt waren. Wer Arbeitgeber war, hat die Strafkammer davon abhängig gemacht, wer die Zahlungen gegenüber der Pflegekraft übernahm, wer über deren Auswechslung oder Wiederkehr entschied, wie der geistige Zustand der zu pflegenden Person war und wer die Vereinbarung mit dem Angeklagten getroffen hatte. Sowohl die abhängige Beschäftigung der Pflegekräfte als auch deren fehlende Anmeldung zur Sozialversicherung waren dem Angeklagten bekannt. Sein Geschäftsmodell zielte gerade darauf ab, den Familien zu ermöglichen, die vermittelten Pflegekräfte ohne Anmeldung zur Sozialversicherung und Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen zu beschäftigen. Zur Berechnung der Höhe der nicht abgeführten Sozialversicherungsbeiträge hat das Landgericht das jeweilige monatliche Arbeitsentgelt (Monatsgehalt zzgl. Sachbezugswerte für Kost und Logis) auf einen Bruttolohn hochgerechnet und errechnete so, dass Sozialabgaben iHv ca. 2.8 Mio Euro pflichtwidrig nicht abgeführt wurden. Vor diesem Hintergrund hat das Landgericht den Angeklagten wegen Beihilfe zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt in 82 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt.

    Der Bundesgerichtshof hat die Verurteilung teileweise aufgehoben. Bei allen Varianten des § 266 a Strafgesetzbuch (StGB) sei Vorsatz erforderlich, wobei bedingter Vorsatz ausreichend ist. Bedingt vorsätzliches Handeln setze voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt (Wissenselement) sowie dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet (Willenselement). Hinsichtlich der Arbeitgebereigenschaft in § 266 a StGB und der daraus folgenden Abführungspflicht komme es für das Vorliegen von bedingtem Vorsatz entscheidend darauf an, ob der Arbeitgeber erkannt und billigend in Kauf genommen habe, dass aufgrund der Umstände des Einzelfalls möglicherweise von einer abhängigen Beschäftigung auszugehen sei und daraus gegebenenfalls für ihn eine Abführungspflicht folge. Er müsse in einer zumindest laienhaften Bewertung erkannt haben, dass er selbst möglicherweise Arbeitgeber sei, dass eine Abführungspflicht existiere und er durch die fehlende Anmeldung oder unvollständige oder unrichtige Angaben die Heranziehung zum Abführen von Sozialabgaben ganz oder teilweise vermeiden könnte. Eine bloße Erkennbarkeit reiche insofern nicht aus.

    Dabei hat der BGH seine bisherige Rechtsprechung entscheidend geändert: Bisher musste sich der Vorsatz des Täters in Bezug auf die durch die Arbeitgeberstellung resultierenden sozialversicherungsrechtlichen Pflichten nur auf die hierfür maßgeblichen tatsächlichen Umstände beziehen. Lag diese Kenntnis der tatsächlichen Verhältnisse vor, unterlag der Täter, wenn er glaubte, nicht Arbeitgeber zu sein oder für die Abführung der Beiträge nicht Sorge tragen zu müssen, nach bisheriger Rechtsprechung keinem vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum, sondern (allenfalls) einem – in der Regel vermeidbaren – Verbotsirrtum. Dies führte regelmäßig zur Verurteilung. Nunmehr ist ein vorsätzliches Handeln nur dann anzunehmen, wenn der Täter über die Kenntnis der tatsächlichen Umstände hinaus auch die außerstrafrechtlichen Wertungen des Arbeits- und Sozialversicherungsrechts – zumindest als Parallelwertung in der Laiensphäre – nachvollzogen hat. Deshalb sei eine Fehlvorstellung über die Arbeitgebereigenschaft in § 266 a StGB und die daraus folgende Abführungspflicht als Tatbestandsirrtum im Sinne von § 16 I 1 StGB einzuordnen. Im Ergebnis entspreche diese Wertung auch der Rechtsprechung des BGH zu Vorsatz und Irrtumsproblematik bei der Steuerhinterziehung, wonach zum Vorsatz der Steuerhinterziehung gehöre, dass der Täter den Steueranspruch dem Grunde und der Höhe nach kenne oder zumindest für möglich halte und ihn auch verkürzen wolle. Für die unterschiedliche Behandlung der Arbeitgeberstellung gemäß § 266 a StGB und der Pflichtenstellung gemäß § 370 I Nr. 2 AO bestehe kein sachlicher Grund.

    Dr. Irini Ahouzaridi

    In folgendem Newsletter erschienen : Newsletter 6/20

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