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    BGH stärkt Vermögensschutz von Gesellschaften durch besondere Vertreter

    Der Bundesgerichtshof (BGH) hat kürzlich in einer viel beachteten Entscheidung den Schutz des Vermögens von Aktiengesellschaften gegen schädigende Einflüsse deutlich gestärkt: Auch zur Durchsetzung von Ersatzansprüchen gegen herrschende Unternehmen kann die Hauptversammlung besondere Vertreter einsetzen; das herrschende Unternehmen unterliegt dabei einem Stimmverbot. Zudem gibt der BGH einen Fingerzeig für Anforderungen an die Einsetzung der Vertreter: Er hält sie offenbar für relativ gering.

    Der Fall betrifft die IFA Hotel & Touristik AG („IFA“). Deren Hauptversammlung hatte 2015 beschlossen, Schadensersatzansprüche gegen ihr herrschendes Unternehmen geltend zu machen, einen spanischen Touristikkonzern. Gleichzeitig setzte sie einen Besonderen Vertreter ein; der sollte diese Ansprüche durchsetzen. Der Vorwurf gegen den Konzern ging dahin, dass er der IFA den Erwerb einer Hotelbeteiligung aus seinem Portfolio zu für IFA ungünstigen Konditionen aufgedrängt hatte. Den Erwerb lehnten die Minderheitsaktionäre ab – u.a. eine mit knapp einem Drittel an der IFA beteiligte Investorin, die unsere Sozietät vertritt. Über diesen Beschluss zur Geltendmachung der Ersatzansprüche ist nach wie vor ein Anfechtungsprozess anhängig. Den hatte der Konzern angestrengt. Er dümpelt noch in der ersten Instanz. Diese klärt in Hinblick auf einem anderen Beschluss der damaligen Hauptversammlung durch Sachverständige, ob der Erwerb tatsächlich für IFA ungünstig war. In der Hauptversammlung 2016 passierte zweierlei: Zum einen fasste sie mit den Stimmen des Konzerns einen Beschluss, den Besonderen Vertreter abzuberufen. Dieser Beschluss ist nach wie vor wirksam: Zwar haben ihn Landgericht und Oberlandesgericht mittlerweile wegen des Stimmverbots des Konzerns für nichtig erklärt Ein Beschluss einer Hauptversammlung ist aber erst dann endgültig aus der Welt, wenn das Urteil rechtskräftig ist. Das ist nicht der Fall. Der Konzern betreibt nämlich die Revision. Zum anderen fasste die Hauptversammlung aufgrund eines Minderheitsverlangens der Investorin unter einem Tagesordnungspunkt, der von einem gerichtlich bestellten Versammlungsleiter geleitet wurde, den Beschluss, den Besonderen Vertreter wieder in sein Amt einzusetzen. Dieser Beschluss ist Gegenstand der aktuellen Entscheidung des BGH (Urteil vom 30. Juni 2020, II ZR 8/19). Gegen den Beschluss erhob das herrschende Unternehmen Anfechtungsklage. Die IFA gab als Beklagte still und heimlich ein Anerkenntnis ab, mit dem sie die vermeintliche Nichtigkeit des Hauptversammlungsbeschlusses akzeptierte. Dagegen ging die von uns vertretene Investorin der IFA mit Unterstützung des Besonderen Vertreters in die Berufung, als sie von dem Urteil des Landgerichts erfuhr. Beim OLG Düsseldorf unterlag sie damit. Der BGH gab ihr nun Recht.

    Für die aktienrechtliche Praxis wichtig ist schon die prozessuale Einkleidung des BGH-Urteils. Denn erstritten hat das Urteil eine Aktionärin als sogenannte Nebenintervenientin der Aktiengesellschaft. Diese hatte sicherlich nicht ohne Zutun des Konzerns die Klage anerkannt. So kam es zum Anerkenntnisurteil. Aktionäre können aber trotz des Anerkenntnisses der Gesellschaft gegen deren Willen Rechtsmittel einlegen. Das entspricht etablierter Rechtsprechung des BGH. Dieser befasste sich daher nicht ausdrücklich mit der in der Literatur streitigen Frage, ob eine Gesellschaft eine Anfechtungsklage überhaupt anerkennen darf. Die Sicht hatte bislang prominente Unterstützer. Dem BGH waren augenscheinlich deren Argumente zu dünn. Für die Praxis bedeutet das, dass Aktionäre, die einen Beschluss einer Hauptversammlung herbeiführen, immer mit Argusaugen beobachten müssen, ob die Gesellschaft vielleicht eine Klage Hand in Hand mit Klägern anerkennt. Vorsorglich werden sie frühzeitig Nebenintervention auf Seiten der Gesellschaft erklären. So können sie die Schaffung vollendeter Tatsachen verhindern.

    Nun zu den inhaltlichen Aspekten der Entscheidung. Nach dem Aktiengesetz (§ 147 AktG) kann die Hauptversammlung die Verwaltung verpflichten, Ersatzansprüchen der Gesellschaft durchzusetzen. Traut die Hauptversammlung das den Organmitgliedern nicht zu, kann sie zur Geltendmachung der Ansprüche einen sogenannten Besonderen Vertreter einsetzen. Dieses Rechtsinstitut gibt es zwar seit 100 Jahren. In der Praxis spielte es aber lange keine Rolle. Das änderte sich seit den 2000 Jahren, als die Hauptversammlung der Bayerischen Hypo- und Vereinsbank („HVB“) den Autor dieses Beitrags als Besonderen Vertreter einsetze, um Ersatzansprüche von dem die HVB beherrschenden UniCredit-Konzern zu verlangen. Ob so auch Konzernhaftungsansprüche durchgesetzt werden dürfen, war streitig. Dem Wortlaut nach hat das Aktiengesetz Ansprüche wegen der Verletzung von Pflichten durch Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder im Blick (§§ 93, 116 AktG); ausdrücklich erfasst es außerdem Ansprüche gegen Personen, die vorsätzlich Einfluss auf die Gesellschaft zu deren Schaden ausüben (§ 117 AktG). Konzernrechtliche Ersatzansprüche (§§ 309, 317 AktG) nennt das Gesetz nicht. Sie unterscheiden sich von den anderen aufgrund Hauptversammlungsbeschluss geltend zu machenden Ansprüchen unter anderem dadurch, dass sie jeder einzelne Aktionär zu Gunsten der Aktiengesellschaft geltend machen kann. Das hindert den BGH aber mit Recht nicht daran, den Anwendungsbereich des § 147 AktG entsprechend seinem Sinn und Zweck auf konzernrechtliche Ansprüche zu erstrecken: Das Gesetz wolle die tatsächliche Geltendmachung von Ansprüchen der Gesellschaft sichern, es solle durch Haftungsdruck pflichtgemäßes Verhalten von Organmitglieder erreichen; zu verhindern sei, dass Ersatzansprüche der Gesellschaft aufgrund Befangenheit ihrer Verwaltung nicht durchgesetzt würden. Bei den Organmitgliedern einer abhängigen Gesellschaft bestehe im Verhältnis zum herrschenden Aktionär eine Interessenkollision. Es drohe die Gefahr, dass der Vorstand unter seinem Einfluss keine Ansprüche gegen ihn geltend mache. Daher sei es sachgerecht, Besondere Vertreter auch für konzernrechtliche Ersatzansprüche einzusetzen.

    Einen wichtigen Fingerzeig für die Praxis gibt der BGH in einer weiteren, sehr streitigen Frage. Es geht darum, welchen Inhalt ein Beschluss zur Geltendmachung von Ansprüchen durch einen besonderen Vertreter haben muss. Konsens besteht, dass der Sachverhalt ausreichend konkret zu beschreiben ist, auf den der Anspruch gestützt ist. Einige untere Gerichte und Literaturstimmen verlangen deutlich mehr: Z.B. die Darstellung von Tatsachen zum Beleg, dass sich der Ersatzpflichtige möglicherweise pflichtwidrig verhalten und die Gesellschaft geschädigt hat; oder schlüssigen Vortrag und konkrete Anhaltspunkte für Ansprüche, oder Anfangsverdacht, hinreichenden Tatverdacht oder gar überwiegende Wahrscheinlichkeit für Pflichtverletzung, Schaden oder generell das Bestehen der Ansprüche. In seinem konkreten Fall brauchte der BGH sich mit diesen Positionen nicht zu befassen. Denn die IFA hatte bereits 2015 beschlossen, Ansprüche geltend zu machen. Diesen Beschluss hielt der BGH für wirksam und zu beachten; die dagegen gerichtete Klage ist belanglos; sie beeinträchtigt nicht die Wirksamkeit eines nicht nichtigen Beschlusses. Der BGH unterstreicht in deutlicher Abweichung vom Berufungsgericht OLG Düsseldorf: Bei der bloßen Neubestellung eines Besonderen Vertreters spielen Anhaltspunkte für das Bestehen von Ansprüchen überhaupt keine Rolle. Dabei bleibt der BGH indessen nicht stehen. Er macht vielmehr sehr deutlich, wozu er in der streitigen Frage der die Tatsachengrundlage für Hauptversammlungsbeschlüsse tendiert. Er verweist nämlich auf sein Urteil aus dem Jahr 1986 zur GmbH. Deren Gesellschafterversammlung kann auch besondere Vertreter zur Geltendmachung von Ersatzansprüchen der Gesellschaft bestellen. Der BGH zitiert seine damalige Sicht: Es reiche, dass der Antrag „im Einzelnen umreißt“, worin Pflichtverletzung und Tatbeitrag der Gesellschafter bestehe, gegen die Ansprüche geltend zu machen seien; es komme „ähnlich wie bei der von einer Minderheit nach § 147 AktG zu erzwingenden Geltendmachung von Ersatzansprüchen“ nicht darauf an, ob der Prozess Aussicht auf Erfolg habe. Der BGH holte damit seinerzeit aus dem Aktienrecht einen Grundsatz, übertrug ihn auf die GmbH und machte ihn so zu einem Grundsatz des GmbH-Rechts. Nun verweist er in einer aktienrechtlichen Entscheidung wiederum auf den GmbH-Grundsatz. Es steht kaum zu erwarten, dass das höchste Gericht in Zivilsachen den Grundsatz nicht auch in der Aktiengesellschaft und in anderen Gesellschaften anwenden wird, wenn es darauf mal ankommt.

    Der BGH erteilt mit dem Urteil Stimmen in Literatur und Rechtsprechung eine deutliche Absage, die den Anwendungsbereich und die Effektivität der Norm zur Geltendmachung von Ersatzansprüchen durch Besondere Vertreter einschränken wollen. In eine Besprechung des Urteils (Fabian Dietz-Vellmer) heißt es mit Recht, mit dieser Entscheidung werde das Institut des Besonderen Vertreters seine Bedeutung für die Verfolgung von Ansprüchen der Gesellschaft behalten. Es kann in der Tat ein wirksames Instrument für Minderheitenschutz und Vermögensschutz der Gesellschaft sein – auch über die Aktiengesellschaft hinaus in der GmbH und in Personengesellschaften.

    Dr. Thomas Heidel

    In folgendem Newsletter erschienen : Newsletter 3/21

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