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    BGH: Verjährung des Abfindungsanspruchs eines Gesellschafters „im Regelfall“ erst nach Klärung des Streits über Ausschluss

    Der Bundesgerichtshof hat jüngst im Grundsatz die Frage geklärt, wann die Verjährung von Abfindungsansprüchen eines aus streitigem wichtigem Grund aus einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (auch „GbR“ bzw. BGB-Gesellschaft“ genannt) Gesellschafters eintritt. Der Ausgeschlossene darf sich „im Regelfall“ zunächst gerichtlich gegen seinen Ausschluss wehren ohne Gefahr zu laufen, dass sein Abfindungsanspruch verjährt.

    Ausschlüsse von Gesellschaftern – aber auch Fragen des Verjährungsbeginns – sind immer wieder Gegenstand von Auseinandersetzungen. Insbesondere ein Ausschluss aus wichtigem Grund stellt aufgrund der notwendigen Gesamtabwägung, ob der Ausschluss berechtigt ist, selbst Rechtskundige hinsichtlich der Erfolgsaussichten eines gerichtlichen Vorgehens gegen die Ausschließung vor erhebliche Einschätzungsschwierigkeiten. Damit einher geht die Frage, ob der Ausgeschlossene seine etwaigen Abfindungsansprüche frühzeitig geltend machen muss – oder zunächst den Rechtsstreit über seinen Ausschluss zu Ende führen kann, ohne in die Verjährungsfalle zu tappen. Damit befasste sich der BGH im Urteil vom 18.05.2021 – II ZR 41/20. Danach ist dem Gesellschafter, der sich gegen seinen Ausschluss aus wichtigem Grund gerichtlich wehrt, „im Regelfall nicht zuzumuten“, seinen Abfindungsanspruch vor der rechtskräftigen Entscheidung über die Wirksamkeit seines Ausschlusses geltend zu machen. Die Verjährung des Anspruchs beginne erst mit Rechtskraft des Streits über den Ausschlusses.

    Im BGH-Fall wurde ein GbR-Gesellschafter 2009 aus wichtigem Grund aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Dagegen wehrte er sich gerichtlich. Seine Klage hatte vor dem Landgericht Erfolg. Das Berufungsgericht hingegen wies die Klage ab; sein Urteil wurde 2015 rechtskräftig. Bald danach verklagte der Gesellschafter seine Mitgesellschafter und die Gesellschaft auf Zahlung seiner ihm nach dem GbR-Vertrag zustehenden Abfindung. Die Instanzgerichte wiesen auch diese Klage ab. Sie hielten den Abfindungsanspruch für verjährt; denn die Verjährungsfrist betrage nun mal drei Jahre, die seien abgelaufen. Die dagegen gerichtete Revision des Klägers, die er erst mit dem Mittel der Nichtzulassungsbeschwerde erkämpfen musste, war erfolgreich. Der BGH hob die Urteile der unteren Instanzen auf und verneinte die Verjährung.

    Wie konnte der BGH die Verjährung verneinen, obwohl der Gesellschafter schon 2009 ausgeschlossen worden war und seine Abfindungsansprüche erst sechs Jahre später gerichtlich geltend machte? Die Verjährung eines solchen Anspruchs unterliegt der typischerweise im Zivilrecht geltenden dreijährigen Verjährungsfrist. Entscheidend ist aber immer die Bestimmung des Zeitpunkts, zu dem die Frist zu laufen beginnt. Das ist nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) der Schluss des Jahres, in dem (1.) der Anspruch entstanden ist und (2.) der Anspruchsberechtigte „von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste“. Die vom BGH zu klärende und nicht leicht zu beurteilende Frage war mithin, ob diese Kenntnis schon 2009 beim Beschluss über den Ausschluss vorlag oder erst 2015, als die Wirksamkeit des Ausschlusses rechtskräftig feststand.

    Nach dem BGH ist maßgeblich die rechtskräftige Entscheidung über den Ausschluss. Zwar beginne die Verjährung nach dem Gesetz schon mit der Kenntnis der den Anspruch begründenden Umstände. Auf die daraus zu ziehenden richtigen rechtlichen Schlüsse komme es also prinzipiell nicht an. Nach allein diesem Maßstab hätte die Verjährungsfrist schon 2009 begonnen und 2012 geendet. Von diesem Prinzip macht der BGH eine entscheidende Ausnahme. Der Beginn könne ausnahmsweise später liegen, wenn die Rechtlage so unsicher und zweifelhaft sei, dass sie selbst rechtkundige Dritte – zum Beispiel Anwälte – nicht zuverlässig einschätzen könnten. Dann sei eine Klage zur Hemmung er Verjährung unzumutbar. Gleiches gelte, wenn der Gläubiger sich mit der Klage in Widerspruch zu seinem eigenen Vorbringen in einem anderen noch nicht abgeschlossenen Prozess setzen müsste. Der Ausschluss eines Gesellschafters aus wichtigem Grund erfordere eine umfassende Würdigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls. Deren Ergebnis könne auch ein Rechtskundiger nur schwer vorhersehen. Dies entspreche wertungsmäßig der fehlenden Kenntnis anspruchsbegründender Umstände. Dem Gesellschafter sei im Regelfall nicht zumutbar, seinen Abfindungsanspruch geltend zu machen, bevor die Wirksamkeit des Ausschlusses überhaupt feststeht.

    Der BGH begründet seine Sicht auch mit allgemeinen Erwägungen: Nur seine Betrachtung entspreche den berechtigten Interessen von Gläubiger und Schuldner. Die Seite der Gesellschaft habe kein schutzwürdiges Vertrauen, nach der rechtskräftigen Entscheidung über den Ausschluss nicht auf Abfindung in Anspruch genommen zu werden. Der Ausgeschlossene habe trotz der sofortigen Wirksamkeit des Ausschlusses Anspruch auf effektiven Rechtsschutz. Das gebiete die Verfassung. Er brauche sich nicht in Widerspruch zu seinem Standpunkt zu setzen, nicht wirksam ausgeschlossen zu sein, indem man ihn zwinge, seinen Abfindungsanspruch einzuklagen. Der Ausgeschlossene brauche seinen Abfindungsanspruch auch nicht im selben Prozess hilfsweise zu verfolgen oder der Gesellschaft den Streit zu verkünden, um die Verjährung zu hemmen. Das sei ihm nicht zumutbar.

    Was ist von der Entscheidung zu halten?

    Der BGH hat zunächst zutreffend erkannt, dass regelmäßig eine sichere Prognose hinsichtlich der Erfolgsaussichten einer Klage gegen die Ausschließung schwierig ist. Zu beantworten, ob tatsächlich ein wichtiger Grund den Ausschluss rechtfertigt, erfordert eine umfassende Gesamtabwägung. Deren Ergebnis ist meist nicht vorhersehbar. Daher überzeugt die Sicht des BGH für die Verjährung: Ist eine Rechtsfrage derart komplex, dass der potentielle Anspruchsinhaber bzw. sein Rechtsbeistand nicht absehen kann, ob sein Anspruch auch bei Beurteilung durch die Gerichte besteht, dann kommt das der vom Gesetz für den Aufschub des Verjährungsbeginn geforderten Unkenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen so nahe, dass die gerichtliche Geltendmachung nicht zumutbar sei. Die Sichtweise des BGB hat eine weit über das Gesellschaftsrecht hinausgehende Bedeutung. In Betracht kommen alle Streitigkeiten, die eine umfassende Gesamtabwägung erfordern.

    Auch im Ergebnis überzeugt die Auffassung des BGH: Entweder der Ausschluss ist wirksam; dann stehen dem Ausgeschlossenen Abfindungsansprüche zu. Oder der Ausschluss ist nicht wirksam; dann können auch keine Ansprüche bestehen. Die Gesellschaft und ihre Gesellschafter wussten also von Anfang an, dass die gerichtliche Beurteilung der Abfindung eine Vorfrage für den Abfindungsanspruch ist und sie abhängig von der Antwort hierauf eine Abfindung zahlen müssen oder nicht. Die Verjährung dient dem Schutz des fälschlich in Anspruch genommenen Schuldners. Ihm soll die Abwehr unberechtigter Forderungen erleichtert werden. Der Zeitauflauf kann seine Beweismöglichkeiten verschlechtern. Außerdem soll er nicht über Gebühr Rücklagen bilden müssen. All dies trifft beim Gesellschafterausschluss nicht zu. Die Seite der Gesellschaft wusste, dass sie eine Abfindung zahlen müsste, wenn der Ausschluss wirksam ist – wovon sie ja auch selbst ausging.

    Last but not least, welche Fragen sind nach dem Urteil offen? In der Literatur heißt es, „Der Praxis bringt die Entscheidung Klarheit.“ (Bachmann/ Ponßen). Das lässt sich leider nicht sagen. Denn zu klären bleibt nach wie vor, welche Rechtsfragen als Vorfragen für Ansprüche derart komplex sind, dass selbst Rechtskundige ihren Ausgang nicht (sicher) vorhersehen können. Ob die Justiz im Einzelfall tatsächlich zu dem Schluss einer so offenen Abwägung gelangt, dass eine Klage nicht zumutbar ist, lässt sich aber nicht sicher vorhersagen. Aus anwaltlicher Sicht stellt sich damit nach dem aktuellen Urteil leider auch bei vergleichbaren Fällen die Frage, ob nicht doch aus Gründen der Vorsicht eine Klage erhoben oder auf andere kostengünstigere Weise die Verjährung gehemmt werden muss. Das Interesse des Gläubigers wird regelmäßig solche Schritte erfordern. Ansonsten läuft dieser Gefahr, dass seine Ansprüche verjähren und damit nicht mehr durchsetzbar sind. Ein solches Risiko wird man kaum einmal eingehen.

    Dr. Thomas Heidel

    Mario Schild

    In folgendem Newsletter erschienen : Newsletter 9/21

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