Meilicke Hoffmann und Partner - Anwaltskanzlei Bonn

    Newsletter

    Gerichtliche Bestellung eines Aufsichtsratsmitglieds: Zweite Chance

    Aktuelle Fälle bei der Daimler AG und der Deutschen Bank AG zeigen: Gerichtliche Bestellungen von Aufsichtsratsmitgliedern sind gar nicht so selten. Gelingt es einem Antragsteller nicht, seinen Kandidaten in der ersten Instanz durchzubringen, hat er eine zweite Chance: Das Beschwerdegericht überprüft nicht lediglich die erstinstanzliche Entscheidung auf Fehler. Es fällt eine eigene sachliche Entscheidung, wen es bestellt. Das hat jüngst das Oberlandesgericht Stuttgart bestätigt.

    Nicht nur wie im prominenten Fall der Eheleute Piëch bei VW beenden Aufsichtsratsmitglieder ihr Amt häufig vor Ablauf der regulären Amtszeit. Ist kein Ersatzmitglied gewählt, bestellt das Amtsgericht das neue Aufsichtsratsmitglied, regelmäßig befristet bis zum Zeitpunkt der nächsten regulären Wahl. Den erforderlichen Antrag können nicht nur der Vorstand und andere Aufsichtsratsmitglieder stellen, sondern z.B. auch jeder Aktionär. Oft schlagen die Antragsteller verschiedene Kandidaten vor. Das Gericht ist an solche Vorschläge nicht gebunden. Es fällt eine Ermessensentscheidung, orientiert in erster Linie am Interesse der Gesellschaft. Ihm steht es insbesondere frei, welchem von konkurrierenden Kandidaten es den Vorzug gibt und zum Aufsichtsratsmitglied bestellt. Manch ein Autor – wie etwa der renommierte Aktienrechtler Habersack – meint, das Gericht sollte den Kandidaten bestellen, der voraussichtlich von der Hauptversammlung bzw. nach den mitbestimmungsrechtlichen Vorschriften gewählt würde. Die Oberlandesgerichte etwa in Düsseldorf, Frankfurt und München halten dagegen. Sie betonen das freie Auswahlermessen des Gerichts, den aus seiner Sicht geeignetsten Kandidaten zu bestellen.

    Diese Auswahlentscheidung trifft in erster Instanz das Amtsgericht. Hat man als Antragsteller seinen Vorschlag nicht durchgebracht und bestellt das Amtsgericht einen anderen der konkurrierenden Kandidaten, kann man sein Glück in der zweiten Instanz beim Oberlandesgericht versuchen. Dieses muss ohne jede Bindung an die erstinstanzliche Entscheidung eine neue eigene Ermessensentscheidung zur Auswahl des geeigneten Aufsichtsratsmitglieds treffen. Das Oberlandesgericht ist eine weitere Tatsacheninstanz. Es ist nicht beschränkt auf die Überprüfung von Fehlern des Amtsgerichts bei der Auswahl. Vielmehr muss es in vollem Umfange nach dem sog. Amtsermittlungsgrundsatz der Frage nachgehen, wer der geeignetste Kandidat ist, und diese Person zum Aufsichtsratsmitglied bestellen. Diese Grundsätze hat dieser Tage in Sachen der Daimler AG das Oberlandesgericht Stuttgart bei der Bestellung eines Aufsichtsratsmitglieds der Arbeitnehmer bestätigt (Beschluss vom 24.02.2017, Az.: 20 W 8/16, ZIP 2017, 671; ähnlich OLG Frankfurt, Beschluss vom 08.09.2014, Az.: 20 W 148/14, ZIP 2015, 170).

    Rechtstatsächlich ist über den konkreten Fall hinaus interessant, wie die Gerichte in Sachen Daimler ihre Auswahlentscheidung begründeten: Für die bestellte Aufsichtsrätin spreche, dass sie, Syndikus-Anwältin beim Bundesvorstand der IG Metall, Volljuristin mit Schwerpunkt im Arbeits- und Sozialrecht sei. So werde dem Daimler-Aufsichtsrat, dem damals nur ein Jurist angehörte, wesentlicher Sachverstand hinzugefügt. Dabei singt das Oberlandesgericht das Hohelied juristischer Kompetenz: Maßgebend sei „der Volljuristen eigene Blickwinkel … auf Zusammenhänge, die in einem Aufsichtsrat eines global agierenden Unternehmens zu beurteilen sind, die Einarbeitungsfähigkeit in auch unbekannte rechtliche Materien und die Sensibilität, rechtlich determinierte Problemlagen frühzeitig zu erkennen und aufzugreifen.“ Die unterlegene Kandidatin war keine Volljuristin. Sie besaß „nur“ wirtschaftswissenschaftliche Kompetenz und internationale Erfahrung. Zudem sei die Unterlegene aufgrund langjähriger Beschäftigung bei der Daimler AG in leitender Funktion der Gefahr von Einfluss und Abhängigkeit ausgesetzt. Das könne zu Interessenkonflikten bei der Aufsichtsratstätigkeit führen. Ähnliche Konflikte entdeckten die Gerichte bei der bestellten Kandidatin nicht – obgleich sie auch Aufsichtsratsmitglied der Siemens AG ist und deren Vorstandsvorsitzender gleichfalls dem Aufsichtsrat der Daimler AG angehört.

    Dr. Thomas Heidel

    In folgendem Newsletter erschienen : Newsletter 3/17

    Drucken | Teilen



    Ähnliche Artikel

    Aktuelle Veröffentlichungen aus unserer Kanzlei

    • Lochner: Die Lösung von Konflikten im dreiköpfigen Aufsichtsrat, in: Der Aufsichtsrat 2014, S. 50-51

    Aktuelle Veröffentlichungen aus unserer Kanzlei

    - Dr. Daniel Lochner mit Marei Wilfert: Die Höchstzahl zulässiger Aufsichtsratsmandate, in: Der Aufsichtsrat 2014, S. 146