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    Gilt der besondere Kündigungsschutz auch bei Auslandsbezug?

    Die Kündigung eines Schwerbehinderten bedarf nur dann der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes gemäß § 85 SGB IX, wenn der betreffende Arbeitnehmer Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder Arbeitsplatz im räumlichen Geltungsbereich des SGB IX hat und das Arbeitsverhältnis dem deutschem Arbeitsvertragsstatut unterfällt.

    Der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 22.10.2015, Az.: 2 AZR 720/14, lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger war auf einem Kreuzfahrtschiff mit italienischer Flagge beschäftigt. Die Beklagte ist eine italienische Firma mit einer deutschen Zweigniederlassung. Die Parteien hatten im Arbeitsvertrag die Geltung italienischen Rechts vereinbart und italienische Tarifverträge für anwendbar erklärt. Es wurden italienische Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuer abgeführt. Das Arbeitsverhältnis wurde seitens der italienischen Muttergesellschaft gekündigt. Der Kläger wandte sich gegen diese Kündigung und brachte unter anderem vor, dass die Kündigung ohne vorherige Zustimmung des Integrationsamtes unwirksam sei. Bei der Zweigniederlassung der Arbeitgeberin handele es sich um einen Betrieb im räumlichen Bereich des BetrVG. Diesem inländischen Betrieb sei er auch zugeordnet, weil von dort aus seine Einsätze geplant wurden.

    Das Bundesarbeitsgericht hat die Vorinstanz insofern korrigiert, als es die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte deshalb angenommen hat, weil die italienische Beklagte sich in der streitigen Verhandlung von dem Arbeitsgericht auf das Verfahren eingelassen hat und eine anderweitige ausschließliche Zuständigkeit gemäß Artikel 22 EuGVVO nicht bestand.

    Das Bundesarbeitsgericht hat allerdings die Vorinstanz insofern bestätigt, als der Vertrag dem italienischen Vertragsstatut unterliege. Die Parteien seien ausdrücklich von italienischem Recht ausgegangen und haben damit eine Rechtswahl getroffen. Der Kläger habe als gewöhnlichen Arbeitsort keine feste Einrichtung. Zwar unterstehen auf hoher See Schiffe, die unter der Flagge eines Staates fahren, ausschließlich der Hoheitsgewalt dieses Staates. Allerdings stelle weder das EGBGB noch das EVÜ ausdrücklich darauf ab, unter welcher Flagge ein Schiff fahre. Damit könne kein Ort festgestellt werden, an dem der Kläger seine Arbeit gewöhnlich verrichtet habe. Um den Ort zu ermitteln, von dem aus die Arbeit ausgeübt werde, seien bei Arbeitsverhältnissen in der Seefahrt alle Umstände zu berücksichtigen, die die Tätigkeit des Arbeitnehmers kennzeichnen. Zwar habe der Kläger im streitgegenständlichen Fall Anweisungen aus der Niederlassung in Rostock erhalten, er habe jedoch seine Fahrten nicht von aus Deutschland angetreten. Das Arbeitsverhältnis weise insgesamt eine engere Verbindung zu Italien als zu Deutschland auf, da sowohl das italienische Vertragsstatut als auch die Lohnsteuer und Sozialversicherung dahin abgeführt wurden.

    Das Bundesarbeitsgericht hat klargestellt, dass die Kündigung nicht der Zustimmung des Integrationsamtes bedürfe. § 85 SGB IX finde nur dann Anwendung, wenn der betreffende Arbeitnehmer die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 SGB IX erfülle und das Arbeitsverhältnis deutschem Vertragsstatut unterliege. Die Zustimmung des Integrationsamtes müsse nicht eingeholt werden, wenn das Arbeitsverhältnis – wie im streitgegenständlichen Fall – weder objektiv noch kraft Rechtswahl dem deutschen Vertragsrecht unterliege. Zwar finde vor dem Integrationsamt keine arbeitsrechtliche Prüfung statt. Jedoch könne es die Zustimmung verweigern, wenn die Kündigung nach arbeitsrechtlichen Vorschriften offensichtlich unwirksam sei. Bereits dies lege nahe, dass ausschließlich Kündigungen dem Zustimmungserfordernis unterliegen, deren Wirksamkeit sich nach dem Integrationsamt bekannten deutschen Recht beurteile. § 85 SGB IX stelle für den persönlichen Anwendungsbereich auf den deutschen und nicht auf den unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff ab. Die Frist des § 90 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX lehne sich an die des § 1 Abs. 1 KSchG an. Die außerordentliche Kündigungen des § 91 Abs. 5 SGB IX nehme ausdrücklich auf § 626 BGB Bezug. Die Nichtigkeit einer Kündigung, die ohne die erforderliche vorherige Zustimmung des Arbeitsamtes erklärt wurde, folge nicht aus § 85 SGB IX selbst, sondern erst aus der – dem deutschen Vertragsstatut zugehörigen – Vorschrift des § 134 BGB. Der ausländische Arbeitgeber könne nicht so einfach das objektiv geltende deutsche Recht mit der Folge abwählen, dass das Zustimmungserfordernis nach § 85 SGB IX entfiele. Hat das Arbeitsverhältnis abgesehen von der Rechtswahl und einer eventuellen Gerichtsstandsvereinbarung keinerlei Auslandsbezug, scheitere ein Umgehungsversuch bereits an Artikel 27 Abs. 3 EGBGB (a.F) bzw. Artikel 3 III ROM I-VO.

    So hat das Bundesarbeitsgericht in der streitgegenständlichen Entscheidung festgestellt, dass der Kläger zwar seinen Wohnsitz im Geltungsbereich des SGB IX hatte, sein Arbeitsverhältnis jedoch objektiv und subjektiv italienischem und nicht deutschem Recht unterliege, so dass der italienische Arbeitgeber nicht das deutsche Integrationsamt um Zustimmung bitten musste. Die Entscheidung ist nur konsequent und führt zur gewünschten Klarheit für ausländische Arbeitgeber.

    Dr. Irini Ahouzaridi

    In folgendem Newsletter erschienen : Newsletter 5/16

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