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    Oberstes Schweizer Gericht: Anspruch auf Erstattung von Vertriebsprovisionen für zehn Jahre – Verjährung droht

    Das Bundesgericht - das oberste Gericht in der Schweiz - hat am 16. Juni 2017, Az.: 4A_508/2016, entschieden, dass Kunden rückwirkend für zehn Jahre von ihren Banken und Vermögensverwaltern Vertriebsprovisionen zurückfordern können, die diese für Kundenaufträge eingestrichen haben. Laut Presseberichten geht es insgesamt um ein Rückerstattungspotenzial in Milliardenhöhe. Wegen taggenauer Verjährung der Ansprüche zehn Jahre nach den Provisionszahlungen drohen laufend Ansprüche zu verjähren.

    Das Bundesgericht hatte die Herausgabepflicht von solchen Vertriebsprovisionen (Kickbacks - im Schweizer Sprachgebrauch „Retrozessionen“) im Grundsatz bereits 2006 und 2012 festgestellt. Doch waren bislang noch verschiedene Fragen umstritten, insbesondere die Verjährung der Ansprüche der Kunden. Diese Unsicherheit ist nun beseitigt. Im deutschen Recht ist die Herausgabepflicht bezüglich solcher Provisionen nach wie vor ungeklärt. Demgegenüber besteht aufgrund der Urteile des obersten Gerichts für die Schweiz dem Grunde nach eine gesicherte Rechtslage. Dies gilt auch für deutsche Kunden, die über Schweizer Banken oder Vermögensverwalter Geld angelegt haben, sei es in der Schweiz oder irgendwo anders in der Welt („Panama Papers / Paradise Papers“). Der Run auf die Banken zur Rückforderung der Provisionen hat begonnen.

    Von Retrozession ist die Rede, wenn ein Beauftragter (z.B. Bank, Vermögensverwalter oder Versicherungsagent) von einem Dritten (z.B. Anlagegesellschaft, Versicherung etc.) Provisionen erhält, sobald der Kunde mit dem Dritten aufgrund der Tätigkeit des Beauftragten einen Vertrag abschließt. Erfasst sind sowohl Abschlussprovisionen als auch sog. Bestandspflegeprovisionen.

    In dem jetzt vom Schweizer Bundesgericht entschiedenen Fall hatte eine internationale Organisation 1994 ein Unternehmen mit der Ausarbeitung eines Versicherungskonzepts beauftragt und auf dessen Vermittlung hin mit verschiedenen Versicherungsgesellschaften Verträge abgeschlossen. 2005 erlangte sie Kenntnis davon, dass das beauftragte Unternehmen von allen bezahlten Versicherungsprämien einen prozentualen Anteil als Provisionen erhalten hatte. Sie kündigte das Auftragsverhältnis und verlangte die Erstattung dieser Provisionen. Das Unternehmen berief sich gegenüber einem Großteil der Forderungen auf eine vermeintliche Verjährung der Erstattungsansprüche mit der Begründung, dass nach schweizerischem Schuldrecht („Obligationenrecht“) für wiederkehrende Leistungen eine Verjährungsfrist von fünf Jahren gilt.

    Der Anwendung der kurzen fünfjährigen Verjährungsfrist hat das Bundesgericht in Lausanne jetzt eine Absage erteilt: Bei dem Anspruch auf Erstattung der Provisionen gehe es nicht um wiederkehrende Leistungen. Vielmehr entstünden mit jeder einzelnen Provisionszahlung jeweils gesonderte Erstattungsansprüche des Kunden. Deshalb gelte nicht die kurze fünfjährige Verjährung, sondern die im Schweizer Recht gültige allgemeine Verjährungsfrist von zehn Jahren. Die Frist beginnt nach der Entscheidung nicht erst mit Ende der Geschäftsbeziehung zwischen dem Kunden und seinem Beauftragten. Vielmehr gilt für jede einzelne Provisionszahlung eine eigenständige zehnjährige Frist; diese beginnt an dem Tag zu laufen, an dem der Beauftragte die Vergütung erhält.

    Um Ansprüche nicht verjähren zu lassen, müssen Kunden daher für Rückforderungsansprüche, deren Verjährung droht, Maßnahmen zur Hemmung der Verjährung ergreifen. Geht es beispielsweise um Provisionszahlungen aus Januar 2008, müssen spätestens im Dezember 2017 entsprechende Schritte unternommen werden. Wenn die Bank oder der Vermögensverwalter nicht freiwillig auf die Einrede der Verjährung verzichtet, kann statt zu klagen zunächst ein kostengünstigeres Güteverfahren eingeleitet werden.

    Zur Ermittlung des Erstattungspotenzials stehen den Kunden Auskunftsansprüche zu. Der Beauftragte muss nach dem Obligationenrecht über die Geschäfte und die dafür vereinnahmten Provisionen Rechnung legen. Daneben besteht ein datenschutzrechtlicher Auskunftsanspruch. Manche Kunden haben bei Vertragsschluss allerdings - meist unbemerkt im Kleingedruckten - auf die Erstattung von Provisionen verzichtet. Ein solcher formularmäßiger Verzicht ist unwirksam, wenn er dem Kunden unredlich untergeschoben wurde.

    Aufgrund der Schweizer Rechtsprechung sind inzwischen viele Banken und Vermögensverwalter bereit, die angeforderten Auskünfte ohne gerichtliche Auseinandersetzung zu erteilen und Vergleichsverhandlungen über die Erstattung von Provisionen aufzunehmen. Dies gilt natürlich nur für solche Provisionen, bei denen die zehnjährige Verjährungsfrist nicht eindeutig überschritten ist. Daher sollte jeder, der über eine Schweizer Bank oder einen Schweizer Vermögensverwalter Geld angelegt oder Versicherungsverträge abgeschlossen hat, Rückforderungsansprüche prüfen lassen. Sollte ein Prozess notwendig werden, können Privatkunden in der Regel in Deutschland am Gericht ihres Wohnorts klagen (Urteil des Bundesgerichtshofs vom 9. Februar 2017, Az.: IX ZR 67/16).

    Dr. Gerd Krämer

    In folgendem Newsletter erschienen : Newsletter 7/17

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