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    Risiken der anschließenden Schwangerschaft sind bei der Frage der Notwendigkeit einer künstlichen Befruchtung nicht zu berücksichtigen

    Bei der Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit einer In-vitro-Fertilisation (IVF) mit intracytoplasmatischer Spermieninjektion (ICSI) sind nur die Erfolgsaussichten der Herbeiführung einer Schwangerschaft zu berücksichtigen, nicht jedoch die weitergehenden Risiken einer Schwangerschaft. Dies ergibt sich aus dem Urteil des BGH vom 04.12.2019, Az.: IV ZR 323/18:

    Der Kläger nahm seinen privaten Krankenversicherer auf Erstattung der Kosten für insgesamt vier Behandlungszyklen einer In-vitro-Fertilisation (IVF) mit Spermieninjektion (ICSI) und anschließendem Embryonentransfer in Anspruch. Unstreitig bestand beim Kläger die auf körperlichen Ursachen berufende Unfähigkeit, auf natürlichem Wege Kinder zu zeugen. Die Beklagte lehnte eine Kostenerstattung unter Hinweis auf das Alter der Ehefrau des Klägers und eine für ihre Altersgruppe dokumentierte erhöhte Fehlgeburts-Rate ab. Die beklagte Versicherung vertrat die Auffassung, dass es deshalb an einer medizinischen Notwendigkeit der durchgeführten Behandlung gefehlt habe. Das Landgericht sah dies anders gab der Klage des Mannes statt. Das Oberlandesgericht wies die hiergegen gerichtete Berufung der Krankenversicherung im Wesentlichem zurück und änderte das erstinstanzliche Urteil nur insoweit ab, als erstinstanzlich die vertraglich vereinbarte jährliche Selbstbeteiligung unberücksichtigt geblieben war. Mit der von OLG zugelassenen Revision verfolgte die Versicherung ihr Rechtschutzziel weiter.

    Der BGH erteilte der Argumentation der Versicherung jedoch eine Absage. Er hat in seinem Urteil zunächst die in seiner Rechtsprechung entwickelten Kriterien für die medizinische Notwendigkeit einer künstlichen Befruchtung bestätigt. Danach ist Voraussetzung zunächst eine auf körperlichen Ursachen beruhende Unfähigkeit des Versicherungsnehmers, auf natürlichem Wege Kinder zu zeugen. Soweit die Behandlung vorgenommen wird, um die organisch bedingte Unfruchtbarkeit eines Mannes zu überwinden, ist die gesamte Behandlung eine insgesamt auf das Ziel, die Unfruchtbarkeit des Mannes zu lindern, gerichtete Heilbehandlung.

    Vorrausetzung ist des Weiteren eine hinreichende Erfolgsaussicht. Hierbei darf die Erfolgswahrscheinlichkeit nicht unter 15 % sinken. Insoweit ist zunächst von der durch das IVF-Register erfassten Erfolgswahrscheinlichkeit der Behandlung in Abhängigkeit vom Lebensalter der Frau auszugehen; in einem zweiten Schritt ist dann zu prüfen, inwieweit auf Grund individueller Faktoren eine von den im IVF-Register für ihre Altersgruppe ermittelten Durchschnittswerten abweichende Bewertung der individuellen Erfolgsaussichten gerechtfertigt ist.

    Der BGH hat dazu jetzt klargestellt, dass für die Frage der Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit einer IVF/ICSI Behandlung nur auf die Wahrscheinlichkeit des Eintrittes einer Schwangerschaft abzustellen, nicht jedoch darüber hinaus eine Prognose über deren weiteren Verlauf anzustellen sei. Für die im Hinblick auf die Notwendigkeit der Heilbehandlung zu treffende Erfolgsprognose sei auf den mit der Heilbehandlung erstrebten Erfolg abzustellen. Wenn eine IVF/ICSI-Behandlung darauf abziele, die medizinisch bedingte Unfähigkeit eines Paares, auf natürlichem Wege Kinder zu zeugen, zu lindern, sei die Erfolgsaussicht einer solchen Behandlung auch nur an dem Ziel der Herbeiführung einer Schwangerschaft zu messen. Auf nachfolgende, den weiteren Schwangerschaftsverlauf oder die Geburt begleitende oder gefährdende Umstände, ziele die Behandlung nicht ab und habe hierauf auch nicht notwendigerweise Einfluss. Das allgemein bestehende und mit dem Lebensalter der Frau steigende Risiko einer Fehlgeburt sei grundsätzlich nicht mehr Gegenstand der Behandlung der Unfruchtbarkeit, sondern Teil eines allgemeinen Lebensrisikos, das werdende Eltern unabhängig davon zu tragen haben, ob das Kind auf natürlichem Wege oder mittels medizinischer Hilfe gezeugt wurde. Das Selbstbestimmungsrecht der Ehegatten umfasse grundsätzlich auch die Entscheidung, sich den Kinderwunsch im fortgeschrittenen Alter unter Inkaufnahme altersspezifischer Risiken zu erfüllen. Hiermit sei es nicht vereinbart, die medizinische Notwendigkeit einer künstlichen Befruchtung über die Erfolgswahrscheinlichkeit der Herbeiführung einer Schwangerschaft hinaus auch noch am voraussichtlichen weiteren Verlauf der Schwangerschaft zu messen, soweit sich diese Prognose nur auf generelle statistisch Erkenntnisse stütze. Etwas anderes könne allenfalls, gelten, wenn auf Grund individueller gesundheitlicher Beeinträchtigungen der Eltern einer Lebendgeburt wenig wahrscheinlich erscheine.

    Herbert Krumscheid

    In folgendem Newsletter erschienen : Newsletter 1/20

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