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    Verletzung einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung ist schadensersatzbewehrt

    Der Bundesgerichtshof hat sich mit der Missachtung von Gerichtsstandsvereinbarungen auseinandergesetzt und statuiert einen vertraglichen Schadensersatzanspruch bei einer Klageerhebung vor einem unzuständigen Gericht (BGH, Urteil vom 17.10.2019, Az.: III ZR 42/19). Dabei betont das Gericht, dass es sich bei der Vereinbarung eines (internationalen) Gerichtsstandes nach ständiger Rechtsprechung um einen materiell-rechtlichen Vertrag über prozessrechtliche Beziehungen handelt.

    Beide Parteien sind Telekommunikationsunternehmen; die Beklagte hat ihren Sitz in Bonn und die Klägerin in Washington D.C. Die Parteien schlossen einen Vertrag über die gegenseitige Verpflichtung, den Datenverkehr der anderen Partei an sog. Peering-Punkten aufzunehmen, in ihrem Netzwerk an die darüber angeschlossenen Kunden zu transportieren und für die erforderliche Übertragungskapazität an den Peering-Punkten innerhalb ihrer Netzwerke zu sorgen („Internet Peering Agreement“). In diesem Vertrag vereinbarten sie die Anwendung deutschen Rechts und Bonn als Gerichtsstand („Bonn shall be the place of jurisdiction“). Die Klägerin verklagte die Beklagte auf Einräumung zusätzlicher Kapazitäten - ohne sich ausdrücklich auf den Vertrag zu berufen - vor einem Bundesgericht in den USA (District Court). Die Beklagte berief sich auf die Gerichtsstandsvereinbarung und rügte die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts. Aufgrund dessen wies der District Court die Klage ab, ohne aber die Erstattung der Rechtsverfolgungskosten der Beklagten, die sich auf knapp 200.000 USD beliefen, anzuordnen. Daraufhin klagte die Klägerin vor dem LG Bonn. Die Beklagte begehrte widerklagend Schadensersatz für die ihr in den USA entstandenen Rechtsanwaltskosten, da die Klägerin gegen die Gerichtsstandsvereinbarung verstoßen und damit schuldhaft ihre Vertragspflichten verletzt habe. Nachdem das LG Bonn der Widerklage stattgeben hatte, wies das OLG Köln in der Berufung der Klägerin die Widerklage ab. Die Revision der Beklagten vor dem BGH war erfolgreich: Das Gericht hob das angefochtene Urteil auf und wies die Sache zurück an das OLG Köln, um über die Höhe des Schadensersatzanspruchs zu entscheiden. Denn der BGH bejahte einen Anspruch der Beklagten auf Schadensersatz gemäß §§ 280 Abs. 1, 249 Abs. 1 BGB in Verbindung mit der Gerichtsstandsvereinbarung.

    Nach dem BGH war die Klägerin verpflichtet, ausschließlich in Bonn zu klagen. Dies ergebe sich aus der zwischen den Parteien vereinbarten Gerichtsstandsvereinbarung „Bonn shall be the place of jurisdiction“. Diese Klausel legte der BGH anhand des Wortlauts, des Sinn und Zwecks der Vereinbarung und der Interessen der Parteien aus:

    -Das englische Verb „shall“ (=,,soll“) wird aus Gründen der Höflichkeit verwendet, bezeichnet jedoch im juristischen Sprachgebrauch eine Verpflichtung (=,,muss“).

    -Zudem wollten die Parteien Rechtssicherheit schaffen und wirtschaftliche Prozessrisiken berechenbar machen. Einem nachträglichen „forum shopping“ sollte entgegengewirkt werden.

    -Schließlich dient die Reglung dem Interesse der Vertragspartner, nicht auf den Rechtsverteidigungskosten im Sinne der American rule of costs sitzen zu bleiben.

    Durch die Vereinbarung, deutsches Recht für anwendbar zu erklären und die Benennung Bonns als Gerichtsstand haben sich die Parteien nach dem BGH verpflichtet (im Sinne einer vertraglichen Nebenpflicht), ausschließlich in Bonn zu prozessieren. Der BGH urteilte darüber hinaus, dass die Vereinbarung eines ausschließlichen Gerichtsstands „weit“ zu verstehen sei; es umfasse das sich entwickelnde Schuldverhältnis in Gänze mit all seinen Pflichten. Ein Verstoß dagegen stellt folglich eine Pflichtverletzung dar.

    Zuletzt musste der BGH prüfen, ob ein solcher Verstoß auch schadensersatzbewehrt ist. Dies bejahrt er mit dem Argument, dass der Zweck einer Gerichtsstandsvereinbarung nur dadurch verwirklicht werden kann, dass der mit unnötigen Kosten belasteten Partei ein Anspruch auf Kostenerstattung zugestanden wird. Ohne diese Konsequenz hätte die Klageerhebung der Klägerin vor einem unzuständigen Gericht keine spürbaren finanziellen Folgen. Um die Ausschließlichkeit des vereinbarten Gerichtsstandes praktisch durchsetzen zu können, muss die Verletzung der Vereinbarung schadensersatzbewehrt sein.

    Die Entscheidung des BGH ist für international tätige Unternehmen von großer Bedeutung. Eine klagewillige Partei muss vor einer Klageerhebung Verträge auf Gerichtsstandsvereinbarungen sichten, um einer Schadensersatzpflicht im vorgenannten Sinne vorzubeugen und die wirtschaftlichen Prozessrisiken so gering wie möglich zu halten. Ein Beklagter muss dagegen schnellstmöglich prüfen, ob er vor dem örtlich zuständigen Gericht verklagt wird. Ein rügeloses Verhandeln vor einem unzuständigen Gericht heilt die Pflichtverletzung und schließt einen Ersatzanspruch aus. Es sei darauf hingewiesen, dass im internationalen Zivilprozessrecht die Rügefristen kürzer sind als die des § 39 ZPO (s. bspw. § 26 Abs. 1 EuGVVO). Schließlich verdeutlicht das Urteil auch, dass bei der Vertragsgestaltung Gerichtsstandsvereinbarungen präzise formuliert werden müssen, um das Prozess- und Schadensersatzrisiko zu minimieren.

    Dr. Moritz Beneke

    In folgendem Newsletter erschienen : Newsletter 8/20

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