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    Zweifel an „passgenauen“ Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen

    Häufiges Ärgernis für Arbeitgeber ist die Pflicht zur Lohnfortzahlung im Krankheitsfall dann, wenn sie in den Zeitraum der verbliebenen Arbeitszeit eines Arbeitnehmers fällt, der die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses ausgesprochen hat. Eine junge Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zeigt Folgen möglichen Missbrauchs durch Arbeitnehmer auf.

    Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat kürzlich in einem Urteil vom 08.09.2021, Az.: 5 AZR 149/21, einen Streitfall entschieden, in dem eine Klägerin als Angestellte eines beklagten Arbeitgebers eine Kündigung ihres seit einigen Monaten bestehenden Arbeitsvertrages ausgesprochen hatte. Zeitgleich legte sie eine auf den Tag der Kündigungserklärung datierte, als Erstbescheinigung gekennzeichnete Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eines Arztes vor. Der Arbeitgeber war folglich an sich zur Entgeltfortzahlung für jedenfalls weitere sechs Wochen wegen der Erkrankung verpflichtet. Im entschiedenen Fall jedoch entschloss sich der Arbeitgeber, die Fortzahlung des Gehaltes zu verweigern. Ihm war aufgefallen, dass die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung exakt für den Zeitraum eine Arbeitsunfähigkeit bescheinigte, der zwischen dem Datum der Kündigung des Arbeitsvertrages und dem Ende des Arbeitsverhältnisses lag. Der Arbeitgeber ging daher davon aus, dass die Arbeitnehmerin in Wirklichkeit gar nicht arbeitsunfähig war, sondern sich die „passgenaue“ Bescheinigung allein zu dem Zweck besorgt hatte, weiter ihr Gehalt beanspruchen zu können, ohne ihre Arbeitsleistungen anbieten zu müssen. Die Arbeitnehmerin klagte daraufhin auf Zahlung ihres Gehaltes und bekam vor dem Arbeitsgericht und dem Landesarbeitsgericht auch Recht.

    Die vom Bundesarbeitsgericht nachträglich zugelassene Revision des beklagten Arbeitgebers hatte Erfolg. Das Gericht urteilte, der Arbeitgeber habe die Möglichkeit, das von der Arbeitnehmerin zum Nachweis ihrer Arbeitsunfähigkeit vorgelegte Beweismittel in Form einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern. Dies sei dem Arbeitgeber mit dem Hinweis gelungen, dass die „Passgenauigkeit“ der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in zeitlicher Hinsicht Zweifel an deren Korrektheit begründete. Ist die Erschütterung des Beweismittels einmal gelungen, muss der Arbeitnehmer seinerseits substantiiert darlegen und beweisen, dass er, wie vom Arzt bescheinigt, arbeitsunfähig war. Im vorliegenden Fall ist dies seitens der Arbeitnehmerin nicht geschehen. Sie hat außer dem Hinweis auf die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung keine weiteren Tatsachen vorgetragen und unter Beweis gestellt. Sie ist deshalb nach Meinung des Bundesarbeitsgerichts im Prozess ihrer Darlegungslast zum Bestehen einer Arbeitsunfähigkeit nicht hinreichend konkret nachgekommen. Das Gericht hat die Klage auf Zahlung ihres Gehaltes daher abgewiesen.

    Die Arbeitsgerichte haben in der Vergangenheit auch schon andere Zweifel an der Richtigkeit von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen mit dem Ergebnis zugelassen, dass der Beweiswert der Bescheinigung erschüttert war. Dies wurde z.B. entschieden


    - in einem Fall, in dem eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für einen Tag vorgelegt wurde, für den der Arbeitnehmer eine Freistellung verlangt und bei Verweigerung eine Krankschreibung angedroht hatte, LAG Köln, Urt. v. 17.04.2002 - 7 Sa 462/01;

    - in einem Fall, in dem ein Arbeitnehmer nach einer Auseinandersetzung mit dem Arbeitgeber den Betrieb verlassen und in den folgenden zwei Monaten dem Arbeitgeber Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen von fünf Ärzten vorgelegt hat, die er zeitlich lückenlos jeweils wegen anderer Beschwerden konsultiert hatte, LAG Hamm, Urt. v. 10.09.2003 – 18 Sa 721/03;

    - bei drei aufeinanderfolgenden Erstbescheinigungen von zwei unterschiedlichen Ärzten, nach inhaltlicher Auseinandersetzung mit dem Arbeitgeber, vorheriger Eigenkündigung samt Mitnahme sämtlicher persönlicher Gegenstände aus dem Betrieb am letzten tatsächlichen Arbeitstag, gut 6 Wochen vor Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist, LAG Niedersachsen, Urt. v. 07.05.2007 – 6 Sa 1045/05;

    - in einem Fall, in dem der Arbeitnehmer während eines Auslandsaufenthalts seinen Rückflug verschoben und kurze Zeit später eine ausländische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt hat, die mit dem späteren Rückflugtermin korrespondierte, LAG Hamm, Urt. v. 08.06.2005 – 18 Sa 1962/04.

    Für den Arbeitgeber kann es sich also lohnen, die Plausibilität von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen kritisch zu prüfen und die Bescheinigung bei Unstimmigkeiten auch einmal nicht anzuerkennen. Der Arbeitnehmer riskiert bei der Vorlage manipulierter Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen die fristlose Kündigung seines Arbeitsverhältnisses aus wichtigem Grund.

    Dr. Jürgen Hoffmann

    In folgendem Newsletter erschienen : Newsletter 9/21

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