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    „Wann klagt der VW-Aufsichtsrat?“

    Vor gut einem Jahr gab VW Manipulationen von Abgaswerten im großen Stil zu. Seitdem gibt es eine Klagewelle geschädigter Anleger. Sie reklamieren die zu späte Information des Kapitalmarkts. Der renommierte Bonner Gesellschaftsrechtler Prof. Dr. Marcus Lutter beleuchtete jüngst in der FAZ einen anderen Aspekt des „Skandals“: Der VW-Aufsichtsrat verletze „eigene Pflichten und verspielt Anlegervertrauen“, wenn er einen Schaden in Höhe von mindestens 20 Milliarden Euro tatenlos hinnehme.

    Als skandalös bezeichnet Lutter (FAZ vom 02.11.2016, S. 18) bereits die Entlastung des VW-Vorstands zumal mit den Stimmen der Porsche SE und des Emirats Katar. Die Hauptversammlung habe den Vorstand entlastet, also das Vertrauen der Aktionäre in die Integrität des Vorstands ausgesprochen, obgleich die Verantwortung für die Manipulationen noch längst nicht geklärt sei. Die Haftung von Vorständen einer deutschen Aktiengesellschaft sei sehr streng. Der Aufsichtsrat müsse sie ebenso durchsetzen wie die Aufklärung von Unregelmäßigkeiten. Diese Grundsätze sind allgemein anerkannt, die Praxis vernachlässigt sie aber allzu oft. Für die Haftung genügt, dass „der Aufsichtsrat eine mögliche Pflichtverletzung der Vorstände vorträgt, diese müssen dann ihrerseits dartun und beweisen, dass sie die inkriminierten Pflichtverletzungen nicht begangen haben“.

    Lutter weist auf zwei naheliegende Pflichtverletzungen von VW-Vorstandsmitgliedern hin: Ihr Wissen um die Manipulationen und ihre mangelnde Aufsicht. Die einzelnen Vorstandsmitglieder könnten zwar ihr persönliches Wissen „nach dem derzeitigen Kenntnisstand leicht widerleg(en)“. Auch scheint es keine Belege für eine aktive Beteiligung von Vorstandsmitgliedern an Manipulationen zu geben. Lutter hält aber den Vorwurf der mangelnden Aufsicht für einschlägig: Der Vorstand müsse für rechtmäßiges Verhalten seiner Aktiengesellschaft und ihrer Mitarbeiter sorgen; das sei bei VW „ganz offensichtlich nicht in ausreichendem Maße geschehen, denn sonst hätte eine solche Manipulation … nicht über so viele Jahre hin geheim bleiben können“. In Rechtsprechung und Wissenschaft ist anerkannt, dass Sicherung und Kontrolle der Rechtmäßigkeit des Unternehmenshandelns („Compliance“) zentral für die Unternehmensleitung sind. Zwar gibt es „keine Garantie, dass nicht doch etwas passiert“. Viele Jahre der Unkenntnis einer groß angelegten technischen Manipulation zeugen aber nicht von einer leistungsfähigen Compliance-Organisation, beschreibt Lutter den Befund bei VW.

    Den Aufsichtsrat trifft die Rechtspflicht, der Vorstandsverantwortung nachzugehen. Diese hat der Bundesgerichtshof seit seiner Leitentscheidung ARAG-Garmenbek (Urteil vom 21.04.1997, Az.: II ZR 175/95) immer wieder unterstrichen. Er hat die Pflichten des Aufsichtsrats in jüngerer Zeit gegen abweichende Auffassungen in der juristischen Literatur und entgegen einer verbreiteten Unternehmenspraxis hervorgehoben. Er stellte 2014 folgende eherne Grundsätze heraus (Urteil vom 08.07. 2014, Az.: II ZR 174/13): Der Aufsichtsrat hat bei der Beurteilung, ob der Vorstand pflichtwidrig gehandelt hat, kein unternehmerisches Handlungsermessen; maßgebend ist allein die objektive Rechtslage; der Aufsichtsrat darf (abgesehen von Bagatellen) nicht nach seinem Ermessen Pflichtwidrigkeit verneinen oder von ihrer Verfolgung absehen, allenfalls bei der Tatsachenermittlung steht ihm ein begrenzter Beurteilungsspielraum zu.

    Lutter sieht konsequenterweise nicht nur die Vorstandsmitglieder in der Verantwortung. Auch die Aufsichtsratsmitglieder von VW können zu Schadensersatz verpflichtende Pflichtverletzungen begehen, wenn sie ihrer Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts nicht energisch nachgehen. Lutter spricht mit Recht die Möglichkeit an, der Aufsichtsrat könne seiner „Pflicht durch einen erfahrenen Anwalt nachkommen“. Grundlage dafür ist § 111 Abs. 2 AktG. Auf dessen Grundlage kann der Aufsichtsrat – wie es im Gesetz leicht antiquiert heißt – „die Bücher und Schriften der Gesellschaft … einsehen und prüfen“ und damit Sachverständige beauftragen. Dabei soll nach herrschender Auffassung regelmäßig der Vorstand die Informationserteilung schulden; angeblich darf der Aufsichtsrat nicht selbst auf Datenbestände der Gesellschaft zugreifen. Das minimiert zweckwidrig und entgegen dem Gesetzeswortlaut („der Aufsichtsrat kann … einsehen und prüfen“) die Effektivität der Untersuchung. Anders ist es jedenfalls bei Verdacht erheblicher Pflichtverletzungen: Dabei ist nach ganz überwiegender Auffassung z.B. auch die Befragung von Mitarbeitern ohne Zwischenschaltung des Vorstands zulässig. Gesicherte eigene Informationsmöglichkeiten, die über die des Aufsichtsrats deutlich hinausgehen, hat ein Sonderprüfer. Ihm stehen z.B. auch Auskunftsrechte unmittelbar gegenüber verbundenen Unternehmen (z.B. der Porsche SE) zu.

    Lutter schließt seinen Aufsatz mit der klaren juristischen Bewertung: Es gebe für den Aufsichtsrat keinen Grund, weiter zu warten. „Im Gegenteil: Eine solche Klage des Aufsichtsrats einer AG gegen pflichtwidrig handelnde Vorstände ist Teil ihrer Corporate Governance“. Bis zum Abschluss der gebotenen Untersuchung müsse der Aufsichtsrat „Vorsorge treffen, dass die damaligen Vorstände auch in der Lage sind, den etwaigen künftigen Schadensersatz zu leisten, indem er heutige Gehalts- und Ruhegehaltszahlungen … mindestens teilweise einbehält“.

    Dr. Thomas Heidel

    In folgendem Newsletter erschienen : Newsletter 11/16

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