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    BGH: Pflicht zur Beteiligung eines einem Stimmverbot unterliegenden Gesellschafters einer GbR auch bei konkludenter Beschlussfassung

    Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 17. Januar 2023 (Az. II ZR 76/21) eine wichtige Entscheidung zur Beschlussfassung in einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) getroffen. Dabei hat er entschieden, dass ein Gesellschafter dann nicht über eine Vertragskündigung abstimmen darf, wenn der Beschluss darauf abzielt, das Verhalten des Gesellschafters zu missbilligen. Darüber hinaus hat er bestätigt, dass auch bei einer konkludenten Beschlussfassung der einem Stimmverbot unterliegende Gesellschafter an der Willensbildung zu beteiligen ist.

    Sachverhalt:

    Der BGH-Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger war Hauptgesellschafter und alleiniger Geschäftsführer einer Gesellschaft nach italienischem Recht, die sich auf die Herstellung und den Vertrieb von Brillen spezialisiert hatte. Gemeinsam mit den Beklagten war er Gesellschafter einer GbR, die eine Marke für Brillen angemeldet hatte. Die gemeinsame Geschäftstätigkeit der GbR-Gesellschafter sollte darauf gerichtet sein, Brillen, welche die italienische Gesellschaft herstellen oder herstellen lassen sollte, unter der Wortmarke der GbR zu vermarkten. Wenig später kam es zu Unstimmigkeiten zwischen den Parteien. Diese mündeten darin, dass der Kläger einem der Beklagten mitteilte, dass ab jetzt alle Mitteilungen an seine italienische Gesellschaft von ihm erledigt würden und er die angeforderten Teile nicht liefern könne.

    Die Beklagten beauftragten u.a. für die GbR einen Rechtsanwalt, der im Namen der GbR mit Schreiben vom 17. September 2014 der italienischen Gesellschaft und dem Kläger verbat, die Marke in irgendeiner Form zu nutzen. In dem Schreiben führte der Rechtsanwalt weiter aus, dass die Beklagten als die übrigen Gesellschafter der GbR zur Kenntnis hätten nehmen müssen, dass sowohl die italienische Gesellschaft als auch der Kläger massiv gegen die Rechte der GbR verstoßen hätten, indem diese gegenüber Dritten wider besseres Wissen behauptet hätten, zum Vertrieb der Brillen unter der Marke berechtigt zu sein. Ferner hätten der Kläger bzw. die italienische Gesellschaft aus dem für die GbR produzierten Warenbestand Brillen in erheblichem Umfang nachproduziert und abgezweigt und damit einen Parallelbetrieb eröffnet.

    Mit seiner Klage strebte der Kläger daraufhin die Feststellung an, dass die Kündigung unwirksam war, sowie Schadensersatz infolge der unrechtmäßigen Kündigung.

    Wesentliche Urteilsgründe:

    Das Kammergericht Berlin als Berufungsinstanz hatte die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass die beiden Beklagten konkludent den Beschluss gefasst hätten, das Vertragsverhältnis zu beenden und dafür einen Rechtsanwalt zu beauftragen. Bei dieser Beschlussfassung habe der Kläger aufgrund einer Interessenkollision einem Stimmverbot unterlegen, sodass er auch nicht an der Beschlussfassung beteiligt werden musste. Der Kündigung liege daher eine wirksame konkludente Beschlussfassung der GbR-Gesellschafter zugrunde.

    Der BGH hat der Revision teilweise stattgegeben und an insoweit an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der BGH hat die Rechtsansicht des Berufungsgerichts bestätigt, dass der Kläger bei der konkludenten Beschlussfassung in der GbR einem Stimmverbot wegen des Verbots des Richtens in eigener Sache entsprechend § 47 Abs. 2 Satz 1 GmbHG ausgeschlossen war. Das Stimmverbot bestand aus Sicht des BGH deswegen, weil die zu beschließende Kündigung auf Pflichtverletzungen gestützt wurde, die der Kläger persönlich in seine Eigenschaft als Geschäftsführer der italienischen Gesellschaft begangen haben soll. Damit ziele der Beschluss darauf ab, das Verhalten des Klägers zu missbilligen und durch den Entzug der mit dem Lizenzvertrag eingeräumten Nutzungsrechte zu sanktionieren. Diese Sanktion richte sich bei Wirtschaft der Betrachtung auch gegen den Kläger selbst, weil dieser unmittelbar und mittelbar nahezu sämtliche Anteile an der italienischen Gesellschaft hielt.

    Der BGH hat aber klargestellt, dass trotz bestehenden Stimmverbotes bei der Beschlussfassung der Kläger unbedingt hätte beteiligt werden müssen. Auch bei der konkludenten Beschlussfassung einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts ist der einem Stimmverbot unterliegende Gesellschafter an der Willensbildung der Gesellschaft zu beteiligen. Da das Berufungsgericht keine Feststellungen dazu gemacht hat, ob der Kläger bei der Beschlussfassung beteiligt worden ist oder nicht, wurde der Rechtsstreit zurückverwiesen.

    Stellungnahme

    Die Entscheidung des BGH ist ausdrücklich zu begrüßen. Der BGH hat das Stimmverbot des Klägers mit dem Verbot des Richtens in eigener Sache entsprechend § 47 Abs. 2 Satz 1 GmbHG begründet. Dieses Stimmverbot, dass ausdrücklich nur bei der GmbH normiert ist, ist in ständiger Rechtsprechung rechtsformübergreifend auch für die Personengesellschaften anerkannt. Dieses war allein deshalb einschlägig, da der BGH die Kündigung als Sanktion für das pflichtwidrige Verhalten des Klägers gewertet hat. Dazu kam der BGH, weil die Kündigung den Kläger auch wirtschaftlich unmittelbar traf, da er nahezu Alleingesellschafter der Vertragspartnerin der GbR war.

    Unklar ist indes, ob das Stimmverbot nach Ansicht des BGH auch dann greifen würde, wenn der Kläger nicht / unwesentlich / mit einer Minderheitsbeteiligung an der italienischen Gesellschaft als Vertragspartnerin beteiligt gewesen wäre. Denn auch in diesem Fall würde die Kündigung das Verhalten des Klägers missbilligen (sie wäre nur keine wirtschaftliche Sanktion mehr gegenüber dem Kläger).

    Bei Lichte betrachtet kann es beim Stimmverbot wegen Richtens in eigener Sache nicht darauf ankommen, ob/wie der vom Stimmverbot Betroffene bei der Vertragspartnerin beteiligt ist: Als Richter in eigener Sache ist der Gesellschafter einer GmbH nach § 47 Abs. 2 Satz 1 GmbHG von der Abstimmung ausgeschlossen, wenn es um seine Entlastung, also die Billigung oder Missbilligung seiner Geschäftsführung geht. Das an diesen Fall einer Interessenkollision geknüpfte Stimmverbot ist über den Gesetzeswortlaut hinaus für alle Gesellschafterbeschlüsse verallgemeinerungsfähig, die darauf abzielen, das Verhalten eines Gesellschafters zu billigen oder zu missbilligen (vgl. BGH, Urteil vom 9. Mai 1974 - II ZR 84/72, NJW 1974, 1555, 1556; Urteil vom 20. Januar 1986 - II ZR 73/85, BGHZ 97, 28, 33; Urteil vom 7. Februar 2012 - II ZR 230/09, ZIP 2012, 917 Rn. 19; Urteil vom 4. April 2017 - II ZR 77/16, ZIP 2017, 1065 Rn. 10; Urteil vom 20. November 2018 - II ZR 12/17, BGHZ 220, 207 Rn. 54). Diese Missbilligung eines Verhaltens ist unabhängig davon, ob/wie sehr der Betroffene zusätzlich beteiligt ist bei der Vertragspartnerin – das mag allein ein (hier rechtlich irrelevantes) Motiv für die Pflichtverletzung sein.

    Die Beteiligung des Betroffenen bei der Vertragspartnerin spielt jedoch bei einer anderen Gruppe von Stimmverboten eine Rolle: Nach § 47 Abs. 4 Satz 2 Fall 1 GmbHG unterliegt der Gesellschafter einer GmbH bei einer Beschlussfassung, welche die Vornahme eines Rechtsgeschäfts der Gesellschaft mit ihm betrifft, einem Stimmverbot. Ob diese Fallgestaltung auch in der GbR, für die das Gesetz eine solche Regelung nicht enthält, in Analogie zu § 34 BGB, § 47 Abs. 4 Satz 2 Fall 1 GmbHG oder unter Berücksichtigung der Wertung des § 181 BGB zu einem Stimmverbot des am Rechtsgeschäft beteiligten Gesellschafters führt, hat der BGH bislang (BGH, Urteil vom 7. Februar 2012 - II ZR 230/09, ZIP 2012, 917 Rn. 30) und auch diesmal offengelassen. In der Vergangenheit hat die Rechtsprechung ein solches Stimmverbot bei der GmbH dann angenommen, wenn der Gesellschafter mit der Vertragspartnerin „wirtschaftlich identisch“ war. Das ist z.B. der Fall, wenn dem Gesellschafter 100% der Geschäftsanteile an der Vertragspartnerin hält (BGHZ 68, 107) oder er zu 100% an der Komplementär-GmbH beteiligt ist, die 50% der KG-Anteile hält (BGH NJW 1973, 1039).

    Wichtig für die Praxis vor diesem Hintergrund ist es, ggf. der Beschlussfassung zugrundeliegende Pflichtverletzungen von Mitgesellschaftern klar zu benennen, um über die Missbilligung dieses Verhaltens zu einem Stimmverbot wegen des Richtens in eigener Sache zu kommen. Dabei ist zwingend auf die Beteiligung des von der Stimmabgabe ausgeschlossenen Gesellschafters zu achten: Der von der Stimmabgabe ausgeschlossene Gesellschafter soll kraft seiner Mitgliedschaft bei der Beschlussfassung in einer Versammlung die Möglichkeit haben, seine Ansicht über die zur Beratung oder Abstimmung anstehenden Tagungsordnungspunkte darzulegen und Einwendungen geltend zu machen (BGH, Urteil vom 12. Juli 1971 - II ZR 127/69, WM 1971, 1150 f.; Urteil vom 13. Februar 2006 - II ZR 200/04, ZIP 2006, 707 Rn. 13). Zudem soll er die Möglichkeit haben, darüber zu wachen, ob alle nach Gesetz und Satzung zur Beschlussfassung notwendigen Förmlichkeiten eingehalten werden (BGH, Urteil vom 12. Juli 1971 - II ZR 127/69, NJW 1971, 2225; Urteil vom 28. Januar 1985 - II ZR 79/84, WM 1985, 567, 568). 31 Der letztgenannte Gedanke mag bei einer zulässigen konkludenten Beschlussfassung in den Hintergrund treten, weil diese keinen Förmlichkeiten unterliegt. Gleichwohl muss der von der Abstimmung ausgeschlossene Gesellschafter auch in diesem Fall die Willensbildung der Gesellschaft nachvollziehen können und die Möglichkeit haben, auf die Meinungsbildung der anderen Gesellschafter Einfluss zu nehmen. Das bedeutet für die Mitgesellschafter, dass sie dem Betroffenen eine Möglichkeit zu Stellungnahme geben müssen.

    Dr. Moritz Beneke

    In folgendem Newsletter erschienen : Newsletter 7/23

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