Meilicke Hoffmann und Partner - Anwaltskanzlei Bonn

    Newsletter

    BGH: Keine Ansprüche der übrigen Aktionäre wegen unterlassenem Pflichtangebot nach WpÜG

    Überschreitet ein Aktionär einer im regulierten Markt börsennotierten Gesellschaft die Beteiligungsquote von 30 % der Stimmrechte, so ist er nach § 35 Abs. 2 Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG) dazu verpflichtet, allen übrigen Aktionären der Gesellschaft innerhalb bestimmter Frist ein Kaufangebot für ihre Aktien zu unterbreiten.



    Hintergrund dieser Angebotspflicht ist, dass angesichts der regelmäßig vergleichsweise niedrigen Präsenz bei Publikumshauptversammlungen der Erwerb von 30 % der Stimmrechte als Erwerb der Kontrolle der Gesellschaft gewertet wird (§§ 29 Abs. 2, 35 Abs. 1 WpÜG), sodass den übrigen Aktionären die Möglichkeit zur Veräußerung ihrer Aktien zu einem angemessenen Preis eingeräumt werden soll, wobei sich der anzubietende Preis zum einen nach dem durchschnittlichen Börsenpreis und zum anderen danach richtet, was der Kontrollerwerber ggf. außerbörslich für die Aktien gezahlt hat. Verstößt ein Kontrollerwerber gegen seine Verpflichtung zur Abgabe eines Pflichtangebots nach § 35 Abs. 1 WpÜG, so hat dies zum einen einen Rechtsverlust nach § 59 WpüG zur Folge; zudem drohen gemäß § 60 WpÜG empfindliche Bußgelder, zu deren Verfolgung die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zuständig ist. Daneben stellt sich aber auch die Frage, ob die übrigen Aktionäre gegen den Kontrollerwerber unmittelbar einen zivilrechtlich durchsetzbaren Anspruch auf Andienung ihrer Aktien zu dem nach Maßgabe des WpÜG angemessenen Preis haben sowie eine nach § 38 Nr. 2 WpÜG vorgesehene Verzinsung verlangen können. Diese Fragen sind in Rechtsprechung und Lehre umstritten. Durch ein im Schrifttum vielbeachtetes Urteil vom 11. Juni 2013 (Az.: II ZR 80/12, veröffentlicht z.B. in Der Konzern 2013, 489 ff.) hat der Bundesgerichtshof zu diesen Streitfragen Stellung genommen und im Ergebnis klagbare Ansprüche der übrigen Aktionäre verneint.



    In dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall hatte eine Aktionärin den Kontrollerwerber, der es unterlassen hatte, ein Pflichtangebot abzugeben, auf Zahlung eines nach Maßgabe des WpÜG angemessenen Preises Zug-um-Zug gegen Überlassung ihrer Aktien in Anspruch genommen. Der Bundesgerichtshof hielt - wie zuvor in diesem Verfahren schon das LG und das OLG Köln - die Klage für unbegründet. Nach Auffassung des Bundesgerichtshofes folgen aus § 35 Abs. 2 WpÜG keine Individualansprüche auf Abschluss entsprechender Verträge, sodass die übrigen Aktionäre gegen den Kontrollerwerber keinen Anspruch auf Zahlung einer Gegenleistung für ihre Aktien haben, wenn dieser ein Pflichtangebot gar nicht abgibt. Ein solcher Anspruch könne auch nicht als deliktischer Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 35 Abs. 2 WpÜG hergeleitet werden. Denn dies setze voraus, dass es sich bei § 35 Abs. 2 WpÜG um ein sogenanntes Schutzgesetz handele, das jedenfalls auch zum Schutz der Aktionäre diene. Das verneinte jedoch der Bundesgerichtshof. Auch verneinte der Bundesgerichtshof einen Verzinsungsanspruch nach § 38 Nr. 2 WpÜG, da dieser nur entstehe, wenn ein Pflichtangebot verspätet veröffentlicht werde, nicht aber auch dann, wenn dieses gar nicht veröffentlicht werde.



    Für die Rechtspraxis bedeutet das Urteil des Bundesgerichtshofs auf der einen Seite eine größere Rechtsklarheit für die Frage der Verpflichtungen eines Kontrollerwerbers bzw. die Konkretisierung der Konsequenzen, wenn dieser seiner gesetzten Pflicht zur Abgabe eines Pflichtangebots nicht nachkommt. Ein Kontrollerwerber weiß nun, dass er sich im Falle der Verletzung seiner Angebotspflicht neben den von der BaFin zur verfolgenden Sanktionen nach dem WpÜG nicht zusätzlich noch den Individualansprüchen der übrigen Aktionäre ausgesetzt sieht.



    Rechtlich erscheint die Wertung eines Bundesgerichtshofs, wonach § 35 Abs. 2 WpÜG nicht die einzelnen Aktionäre schütze, äußerst fraglich. Es mag sein, dass z.B. Veröffentlichungspflichten, die in der Tat dazu dienen, alle Kapitalmarktteilnehmer über z.B. Stimmrechtsschwellen börsennotierter Gesellschaften zu informieren, rein kapitalmarktschützend und nicht individual schützend sind; davon unterscheidet sich jedoch grundlegend die Angebotspflicht nach § 35 Abs. 2 WpÜG, da diese gerade dazu verpflichtet, dass der Kontrollerwerber seinen konkreten Mitaktionären ein Kaufangebot unterbreitet. Wird diesen Aktionären, die bestimmungsgemäß Adressaten des nach § 35 Abs. 2 WpÜG abzugebenden Angebots sind, abgesprochen, etwaige Schadensersatzansprüche beim Kontrollerwerber einklagen zu können, so bedeutet dies im Ergebnis eine größere Verantwortung für die BaFin. Denn nach Maßgabe der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine Kontrolle und Sanktionierung durch die BaFin nunmehr alles, was ein Kontrollerwerber als wirtschaftliche Folgen zu befürchten hat, wenn er seine gesetzliche Verpflichtung zur Abgabe eines Pflichtangebots missachtet. Es bleibt daher abzuwarten, ob faktische Folge des BGH-Urteils sein wird, dass § 35 Abs. 2 WpÜG künftig häufiger missachtet wird und ob es der BaFin gelingt, ihre Kontroll- und Schutzfunktion effektiv auszuüben.



    Daniel Lochner

    In folgendem Newsletter erschienen : Newsletter 10/13

    Drucken | Teilen