Meilicke Hoffmann und Partner - Anwaltskanzlei Bonn

    Newsletter

    Prozessstandschaft einer GbR-Gesellschafterin

    Wirft man einen Blick ins deutsche Gesellschaftsrecht, ist einer der ersten großen Grundsätze, der sich dem Betrachter erschließt, der Grundsatz der rechtlichen Selbstständigkeit einer Gesellschaft von ihren Gesellschaftern. Er ergibt sich aus der Rechtsfähigkeit der Gesellschaften, also ihrer Fähigkeit selbst Träger von Rechten und Pflichten sein zu können. Bei den Kapitalgesellschaften ist dieses Merkmal bereits in ihrem Charakter als juristische Person verankert (exotische Fälle wie den nicht-rechtsfähigen Verein einmal ausgeklammert). Bei Personengesellschaften hingegen ergibt er sich aus der positiven Feststellung der Rechtsfähigkeit, etwa durch Gesetz (z.B. § 124 Abs. 1 HGB für die OHG). Dieser Familie der rechtsfähigen Personengesellschaften ist 2001 auch die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) beigetreten, deren Rechtsfähigkeit lange umstritten war. In der bekannten Weißes-Ross-Entscheidung des BGH vom 29.01.2001 (Az.: II ZR 331/00) erkannte dieser die Rechtsfähigkeit der am Rechtsverkehr aktiv teilnehmenden GbR (Außengesellschaft) an und legte so den diesbezüglichen Streit ad acta. An diese Verselbstständigung der Gesellschaft von ihren Gesellschaftern knüpfen jedoch einige Folgefragen an, die weiterhin die Rechtsprechung beschäftigen. Eine jener Fragen hatte der BGH am 07.07.2021 (Az.: VIII ZR 52/20) zu beantworten.

    Im streitgegenständlichen Fall wurde eine Düsseldorfer Wohnung von einer GbR an eine Einzelperson vermietet. Die GbR bestand dabei aus zwei Eheleuten, welche jedoch getrennt lebten. Nach einem Streit über fehlende Abrechnungen der Betriebskosten durch die Gesellschaft und ausstehende Miet- und Nebenkostenzahlungen seitens des Mieters kündigte letzterer die Wohnung. Am Tag der Rückgabe der Wohnung schloss der scheidende Mieter eine Vereinbarung mit dem Ehemann, nach der „alle wechselseitigen Ansprüche für die Zukunft oder die Vergangenheit, gleich ob bekannt oder unbekannt, abgegolten" seien. Die Ehefrau sah besagte Vereinbarung jedoch als unwirksam an und verlangte von dem ehemaligen Mieter Zahlung rückständiger Miete und Nutzungsentschädigung. Das erstinstanzliche Amtsgericht und die Berufungsinstanz entschieden zur Sache und gaben beide der Klage dem Grunde nach statt, wobei die zweite Instanz die Klage gleichwohl letztlich abwies, weil der Mieter mit einem Anspruch auf Rückzahlung von Betriebskostenvorauszahlungen aufgerechnet hatte, was nach ihrem Dafürhalten den einzuklagenden Anspruch erlöschen ließ.

    Der BGH trat dieser Entscheidung jedoch entgegen und verwies dabei auf die, den materiell-rechtlichen Fragestellungen vorgeschalteten, Sachurteilsvoraussetzungen der Klage. Hier fehle es wohl schon an der Prozessführungsbefugnis der Klägerin, denn es handele sich um einen Anspruch, der der vermietenden GbR zusteht und eben nicht der Ehefrau als ihrer Gesellschafterin. Einen derartigen fremden Anspruch der Gesellschaft dürften jedoch grundsätzlich nur die geschäftsführungsbefugten Gesellschafter geltend machen. Geschäftsführungs- und damit auch prozessführungsbefugt ist bei der GbR nur die Gesamtheit der Gesellschafter, § 709 BGB. Daran ändere auch die Tatsache nichts, dass die Klägerin die Zahlung nicht an sich selbst, sondern an die GbR begehrte. Auch ein Handeln in Prozessstandschaft kam für den BGH nicht in Betracht. Eine Prozessstandschaft ergebe sich insbesondere nicht aus dem Institut der actio pro socio. Diese erfasse nämlich nur die Geltendmachung von Ansprüchen der Gesellschaft gegen einen Mitgesellschafter aus dem Gesellschaftsverhältnis (sog. Sozialansprüche). Da der Beklagte ein Dritter war, fehle es hieran eindeutig. Es handele sich vielmehr um die Konstellation der actio pro societate.

    Danach könne ein nicht geschäftsführungsbefugter Gesellschafter Ansprüche der Gesellschaft gegen Dritte nur dann geltend machen, wenn der geschäftsführungsbefugte Gesellschafter und der Dritte zum Schaden der Gesellschaft pflichtwidrig zusammenarbeiten. In einem solchen Fall sei es eine Förmelei, wenn der nicht geschäftsführungsbefugte Gesellschafter den geschäftsführungsbefugten Gesellschafter erst im Innenverhältnis zum Tätigwerden verklagen müsse. Zu einem pflichtwidrigen Zusammenwirken sei aber von der Klägerin nichts vorgetragen worden.

    Nichtsdestotrotz entschied der BGH die Sache nicht selbst, sondern verwies sie an die Berufungsinstanz zurück, um den Parteien die Möglichkeit zu geben, zur Frage der Prozessführungsbefugnis vorzutragen. Hierdurch eröffnete er der Klage die Chance, doch noch erfolgreich zu sein. Aber auch auf die von der Beklagtenseite vorgebrachte Frage nach der Vertretungsbefugnis des Ehemanns beim Abschluss der Abgeltungsvereinbarung müsse dezidiert eingegangen werden, ergänzte das Gericht. Denn das Landgericht habe ausschließlich geprüft, ob bei der Abgeltungsvereinbarung der Ehemann seine Ehefrau wirksam vertreten hat. Inhaber der Ansprüche sei aber die GbR, auf deren Vertretung es allein ankomme. Auch hier sei eine Vertretungskonstellation – etwa aufgrund der Vereinbarung einer Einzelvertretungsbefugnis oder einer rechtgeschäftlichen Vollmacht – denkbar.

    Anders als vom Berufungsgericht angenommen, sei auch eine Aufrechnung des Mieters mit allen Ansprüchen auf Betriebskostenrückforderungen aus den Jahren 2014-2016 nicht möglich. Zwar habe der Mieter nach Beendigung des Mietverhältnisses – wenn der Vermieter keine Betriebskostenabrechnung vorlegt –einen direkten Anspruch auf die Rückzahlung von Betriebskostenvorauszahlungen,ohne den Vermieter zunächst auf die Erstellung einer Abrechnung verklagen zu müssen. Der Mieter sei aber nicht schutzwürdig, wenn er nicht schon während der Mietzeit die Möglichkeit genutzt habe, unter Berufung auf das Zurückbehaltungsrecht des § 273 BGB nach Ablauf der Abrechnungsfrist die weiteren Betriebskostenvorauszahlungen zu verweigern. Anders als vom Berufungsgericht entschieden, sei dies für jeden Abrechnungszeitraum gesondert zu prüfen. Es sei unerheblich, ob der Mieter irgendwann einmal ein Zurückbehaltungsrecht geltend gemacht habe. Danach sei jedenfalls für den Abrechnungszeitraum 2014 kein Rückzahlungsanspruch des Mieters gegeben.

    Wie dem aufmerksamen Leser aufgefallen sein wird, handelt es sich trotz des gesellschaftsrechtlichen Einschlags kurioserweise nicht um eine Entscheidung des II., sondern des VIII. Zivilsenats des BGH, der eigentlich primär für das Wohnraummietrecht zuständig ist. Das Berufungsgericht hatte allein wegen der Frage der Rückzahlung von Betriebskostenvorauszahlungen die Revision zum BGH zugelassen. Die Frage der Prozessführungsbefugnis war, wie u.a. an der Zurückverweisung zu sehen ist, bis zur Entscheidung desBGH von keiner der Parteien thematisiert worden.

    Im Ergebnis stellt die Entscheidung ein Paradebeispiel für die Anwendung des eingangs erwähnten Grundsatzes der rechtlichen Selbstständigkeit der Personengesellschaften dar. Sowohl auf prozessualer als auch materiell-rechtlicher Ebene stellen sich Fragen rund um die Inhaberschaft des Anspruchs, die Entscheidung über dessen Wirksamkeit und seine Geltendmachung. Es zeigt sich dabei im vorliegenden Fall, dass, dem Grundsatz der rechtlichen Selbstständigkeit der GbR folgend, diese als Inhaberin der Mietforderung grundsätzlich auch alleine über deren Bestand und Einklagbarkeit zu entscheiden hat. Ihre Willensbildung vollzieht sich dabei nach dem Grundsatz der Gesamtvertretung der Gesellschafter. Mit seiner Entscheidung weist der VIII. Senat darauf hin, dass diese Punkte einer gewissenhaften rechtlichen Prüfung unterzogen werden müssen, was die Vorinstanzen im streitgegenständlichen Fall unterlassen bzw. schlichtweg übersehen hatten. Aus diesem Grund wurde das Verfahren auch an die Berufungsinstanz zur erneuten Beweiserhebung und Entscheidung zurückverwiesen. Diese hat nun zu klären, ob, unter den oben genannten Gesichtspunkten, eine Geltendmachung des Anspruches durch die GbR-Gesellschafterin im eigenen Namen im konkreten Fall möglich ist oder sie hierzu einer speziellen Ermächtigung durch die Gesellschaft bedurft hätte bzw. eine solche sogar vorlag. Ebenso wie bei der ebenfalls zu beleuchtenden von dem anderen Gesellschafter ausgehandelten Abgeltungsvereinbarung kommt es demnach darauf an, ob und inwiefern die beiden Gesellschafter im konkreten Fall für die GbR handeln konnten. Dass es sich bei beiden Punkten um entscheidungserhebliche handelt, verleiht dem Fall zudem eine zusätzliche Brisanz. Ob das Landgericht letztlich eine tragbare Entscheidung fällt, die den Anforderungen des BGH genügt, bleibt abzuwarten.

    Auch durch das zum 01.01.2024 in Kraft tretende Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG), über das wir Sie in unserem August-Newsletter bereits informierten, wird sich an den rechtlichen Grundlagen, nach denen der BGH den Fall entschieden hat, nichts ändern. Auch wenn das Gesetz weitreichende Änderungen des Rechts der GbR bewirkt, bleibt es im Grundsatz bei der gemeinsamen Geschäftsführungsbefugnis aller Gesellschafter, § 715 Abs. 3 Satz 1 BGB neuer Fassung. Erwähnungswert in diesem Zusammenhang ist noch, das sowohl die actio pro socio als auch die actio pro societate, die bisher allein auf eine richterliche Rechtsfortbildung gestützt wurden, nunmehr in § 715b BGB neuer Fassung gesetzlichen Niederschlag gefunden haben. Dies gilt auch für die Notgeschäftsführungsbefugnis in § 715 Abs. 3 Satz 1 am Ende BGB neuer Fassung, die bisher aus einer Analogie zu § 744 Abs. 2 BGB hergeleitet wurde.

    Faris Schäfer, wissMit.

    Philipp Trapp, wissMit.

    In folgendem Newsletter erschienen : Newsletter 10/21

    Drucken | Teilen