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    Wann Unwissenheit vor Haftung schützt

    Eine zivilrechtliche Haftung ist ausgeschlossen, wenn der in Anspruch genommene Haftungsschuldner (der „Täter“) bei seiner Handlung (seiner „Tat“) einem sogenannten unvermeidbaren Verbotsirrtum unterliegt. Ein solcher liegt nach einer neuen Entscheidung des Bundesgerichtshofs auch dann vor, wenn eine tatsächlich nicht vorgenommene Erkundigung bei der zuständigen Aufsichtsbehörde die Fehlvorstellung des Täters bestätigt hätte (BGH, Urteil vom 27.06.2017, Az.: VI ZR 424/16).

    Im BGH-Fall ging es um Schadensersatzansprüche nach einer fehlgeschlagenen Kapitalanlage bei einer schweizerischen Aktiengesellschaft („AG“). Der Beklagte war Mitglied des Verwaltungsrats, ihres obersten Leitungsorgans. Geschäftsmodell der AG war, von Kunden Lebensversicherungen zu kaufen, die Policen zu kündigen und die daraufhin von den Versicherern ausgezahlten Gelder zu vereinnahmen. Die Kaufpreise lagen über dem Betrag der auszuzahlenden Gelder. Die AG betrieb ihr Geschäft überwiegend in Deutschland. Sie besaß keine Erlaubnis nach § 32 Kreditwesengesetz („KWG“), Bankgeschäfte zu betreiben. Ihre Rechtsanwälte hatten sie beraten, dass es einer solchen Erlaubnis nicht bedarf. 2009 kaufte die AG unter Mitwirkung des Beklagten eine Lebensversicherung der Klägerin. Diese erhielt nicht den vollen Kaufpreis. Sie verklagte daraufhin den Beklagten unter Berufung auf die fehlende KWG-Erlaubnis auf Schadensersatz. 2011 hatte die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht („BaFin“) der AG noch mitgeteilt, ihre Geschäfte seien nicht erlaubnisbedürftig; 2012 änderte die BaFin ihre Rechtsansicht und erklärte, die Geschäfte seien doch nach dem KWG erlaubnisbedürftig.

    Der Bundesgerichtshof unterstellte die Erlaubnispflicht nach dem KWG. Das hätte eigentlich eine deliktische Haftung des Beklagten nach sich gezogen. Dennoch verneinte der BGH die Haftung. Der Beklagter habe einem unvermeidbaren Verbotsirrtum unterlegen. Ein Verbotsirrtum liegt dann vor, wenn der Täter nicht erkennt, dass er rechtswidrig handelt; unvermeidbar ist ein solcher Irrtum nur, wenn dem Täter trotz gründlichen Nachdenkens die Einsicht in das Unrechtmäßige fehlt; im Zweifel muss er eine verlässliche und sachkundige Auskunft einholen. (Nur) bei einem unvermeidbaren Verbotsirrtum scheidet die Haftung aus. Ob allein der anwaltliche Rat zum Haftungsausschluss führe, ließ der Bundesgerichtshof offen. Der Irrtum des Beklagten über die Rechtslage sei schon deshalb beachtlich, da die BaFin als zuständige Aufsichtsbehörde die Fehlvorstellung der AG über die Rechtslage 2011 bestätigt habe.

    Eigentlich hätte die AG schon vor dem Geschäft und damit vor 2009 eine Stellungnahme der BaFin einholen müssen, um in den Vorteil der Rechtsgrundsätze des Verbotsirrtums zu kommen. Dieses Versäumnis erklärte der BGH für irrelevant. Er sah es als hinreichend belegt an, dass eine Nachfrage bei der BaFin schon 2009 die Fehlvorstellung der AG bestätigt hätte. Der Beklagte hatte schon die Vorinstanz überzeugt, dass die 2011 mitgeteilte Rechtsansicht der BaFin der im Jahr 2009 entsprach.

    In ähnlich gelagerten Fällen wird es darauf ankommen, das Gericht davon zu überzeugen, was eine Behörde auf eine rechtzeitig gestellte Anfrage erklärt hätte. Eine entsprechende Darlegung, die sich auf konkrete Tatsachen stützen muss, und ggf. der Beweis im Prozess werden regelmäßig sehr mühsam sein. Beweisbelastet ist der Beklagte, der sich gegen seine Haftung wehrt. Existiert eine spätere Erklärung der Behörde, die mit der Vorstellung des Beklagten übereinstimmt, wird der Kläger die Vermutung erschüttern müssen, dass die Behörde zum Tatzeitpunkt derselben Rechtsansicht war.

    Dr. Thomas Heidel / Dr. Moritz Beneke

    In folgendem Newsletter erschienen : Newsletter 6/17

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