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    Anforderungen an Entsendungsrechte für Aufsichtsratsmitglieder – Welche Grenzen zieht der Gleichbehandlungsgrundsatz?

    Das LG München I hat mit Urteil vom 19.12.2019 – 5 HK O 12082/18 (ZIP 2020, 915) – die Anforderungen an ein wirksames Entsenderecht von Aktionären betont. Der Grundsatz der Gleichbehandlung von Aktionären ist verletzt, wenn das Entsenderecht unabhängig vom Umfang der Beteiligung besteht und auch bei einem verschwindend geringen Anteil am Grundkapital der Gesellschaft ausgeübt werden kann.

    Die Hauptversammlung der beklagten Aktiengesellschaft fasste mit 97,66 % der anwesenden Stimmen folgenden Beschluss:

    „… die R. GmbH hat, solange und sobald sie Aktionärin der Gesellschaft ist, das nicht übertragbare Recht, eines der von den Anteilseignern zu wählenden Aufsichtsratsmitglieder in den Aufsichtsrat der Gesellschaft zu entsenden. … Dieser Abschnitt der Satzung kann nur mit einer Zustimmungsquote von 90 % der stimmberechtigen Aktionäre in einer Hauptversammlung, wobei 50 % des stimmberechtigen Grundkapitals anwesend sein müssen, geändert werden. Eine Satzungsänderung in § 8 Abs. 6 der Satzung ist nur mit Zustimmung der R. GmbH wirksam. … Eine Abberufung des entsandten Aufsichtsratsmitglieds ist durch die Hauptversammlung nicht möglich.

    Die gegen diesen Beschluss erhobene Anfechtungsklage hatte Erfolg. Das LG München I erklärte den Beschluss wegen Verstoßes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 53a AktG) i.V.m. der Treuepflicht der Gesellschafter für nichtig. Der Gleichbehandlungsgrundsatz gebietet es, Aktionäre unter gleichen Voraussetzungen gleich zu behandeln. Dies gilt zwar bei Entsenderechten nur eingeschränkt, denn nach § 101 Abs. 2 AktG können sie nur bestimmten Aktionären eingeräumt werden; die Entsendeberechtigten werden daher stets anders als die anderen Aktionäre behandelt.

    In Ausnahmefällen müssen Entsenderechte aber einer Inhaltskontrolle unterzogen werden. Dies gebietet die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht. Der hier angegriffene HV-Beschluss hielt der Inhaltskontrolle nicht stand. Das LG München I argumentierte, das Entsenderecht hänge nicht von bestimmten Anteilen am Grundkapital ab. Es sei darüber hinaus ein Sonderrecht- es kann dem Entsendungsberechtigten also nur mit seiner Zustimmung wieder entzogen werden. Es steht der R. GmbH also auch dann zu, wenn sie alle Aktien bis auf eine verkaufen würde.

    Diese Regelung birgt das Potential für ein extremes Missverhältnis zwischen dem Umfang der Beteiligung des Entsendungsberechtigten und seinem Einfluss auf die Zusammensetzung des Aufsichtsrats als einem der drei zentralen Organe der AG. Die Entscheidung des LG München I ist aber dennoch nicht zweifelsfrei. Sie trägt zwar dem prinzipiellen Gleichlauf von mitgliedschaftlicher Berechtigung des Gesellschafters an der Gesellschaft und Einfluss des Gesellschafters auf die Gesellschaft Rechnung. Der Gesetzgeber hat das Entsenderecht aber bewusst als Sonderrecht ausgestaltet und eine Ungleichbehandlung in Kauf genommen. Es ist unklar, welche Beteiligung notwendig sein soll, um wirksam ein Entsenderecht schaffen zu können.

    Für die Praxis hat die Rechtsprechung jedenfalls eine Richtschnur vorgegeben: Das OLG Hamm erachtete in der Entscheidung über die Rechtmäßigkeit eines Entsendungsrechts in Sachen „Thyssen Krupp“ (ZIP 2008, 1530) das Entsendungsrecht eines Aktionärs für ein Aufsichtsratsmitglied als wirksam, der mit mindestens 10 % am Grundkapital beteiligt ist.

    Dr. Torben Illner

    In folgendem Newsletter erschienen : Newsletter 7/20

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