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    Beteiligung des Versicherungsnehmers einer Lebensversicherung an Bewertungsreserven

    Die durch das Lebensversicherungsreformgesetz vom 01.08.2014, in Kraft getreten am 07.08.2014, geänderten Regelungen über die Beteiligung von Versicherungsnehmern an Bewertungsreserven in der Lebensversicherung sind nicht verfassungswidrig. Dies hat der BGH mit Urteil vom 27.06.2018, Az.: IV ZR 201/17 entschieden.

    Hintergrund:

    Gem. § 153 Abs. 3 Satz 2 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) ist die Hälfte der bei Beendigung des Versicherungsvertrages bestehenden Bewertungsreserven an die Versicherungsnehmer auszuzahlen.

    Aufgrund der langanhaltenden Niedrigzinsperiode sah der Gesetzgeber die Gefahr, dass Lebensversicherungsunternehmen mittel- und langfristig nicht in der Lage sein würden, den Versicherter in der Vergangenheit gemachte Zinszusagen zu erfüllen. Er hat durch das Gesetz zur Absicherung stabiler und fairer Leistungen für Lebensversicherte vom 01.08.2014, in Kraft getreten am 07.08.2014, (BGBl. I Seite 1330), im folgenden Lebensversicherungsreformgesetz (LVRG), seinerseits eine Änderung von § 153 Abs. 3 VVG vorgenommen, wonach aufsichtsrechtliche Regelungen zur Sicherstellung der dauernden Erfüllbarkeit der Verpflichtungen aus Versicherungen, insbesondere die §§ 53 c, 54 c, 54 Abs. 1 und 2, 56 a Abs. 3 und 4 sowie 81 Abs. 1 und 3 VAG, unberührt bleiben.

    Gem. § 56 a Abs. 3 VAG sind Bewertungsreserven aus direkt oder indirekt vom Versicherungsunternehmen gehalten festverzinslichen Anlagen und Zinsabsicherungsgeschäfte bei der Beteiligung der Versicherungsnehmer an den Bewertungsreserven gem. § 153 Abs. 3 VVG nur insoweit zu berücksichtigen, als sie einen etwaigen Sicherungsbedarf aus den Versicherungsverträgen mit Zinsgarantie gem. Abs. 4 überschreiten. Gem. § 56 a Abs. 4 Versicherungsaufsichtsgesetz alte Fassung (VAG a.F). ist der Sicherungsbedarf aus den Versicherungsverträgen mit Zinsgarantie die Summe der Sicherungsbedarfe der Versicherungsverträge, deren maßgeblicher Rechnungszins über dem maßgeblichen Eurozins-Swapsatz zum Zeitpunkt der Ermittlung der Bewertungsreserve (Bezugszins) liegt.

    Wirtschaftlich finden damit die mit den Prämien von Altkunden, in Zeiträumen der Hochzinsphase erwirtschafteten stillen Reserven bei Auszahlungen an Altkunden bei der Berechnung der Überschussbeteiligung nur dann Berücksichtigung, wenn die stillen Reserven einen beim jeweiligen Versicherer bestehenden Sicherungsbedarf überschreiten.

    Welche Auswirkungen dies haben kann, zeigt der entschiedene Fall:

    Im zu entscheidenden Fall hatte der Versicherer bei Beendigung eine vom 01.09.1999 bis 01.09.2014 laufende Lebensversicherung mit Schreiben vom 01.07.2014 eine Versicherungsleistung zum Vertragsablauf in Höhe von 50.247,17 € angekündigt, die sich aus der garantierten Versicherungssumme von 46.585,00 €, seiner Überschussbeteiligung von 867,82 € sowie einer Beteiligung an den Bewertungsreserven in Höhe von 2.821,53 € zusammensetzte. Der Versicherer wies aber darauf hin, dass die Bewertungsreserven erst endgültig zum Fälligkeitstermin feststünden und ggfs. niedriger ausfallen könnten.

    Bei Beendigung des Versicherungsverhältnisses teilte der Versicherer mit, dass die endgültige Versicherungsleistung sich auf lediglich 47.600,77 € belaufe, wovon die Bewertungsreserve lediglich einen Betrag von 148,95 € ausmache. Er berief sich dann darauf, dass bei ihm zum Zeitpunkt der Auszahlung der Versicherungsleistung ein Sicherungsbedarf nach § 56 a Abs. 3 und 4 VAG a.F. /139 Abs. 3 und 4 VAG n.F. bestand.

    Der Versicherungsnehmer trat seine Ansprüche gegen den Versicherer an einen gemeinnützigen Verbraucherschutzverein ab. Dieser machte die Auszahlung des Differenzbetrages zwischen der im Schreiben der Versicherung vom 01.07.2014 angegebenen Bewertungsreserve und dem tatsächlich hierauf zur Auszahlung gelangten Betrag von 148,95 € geltend. Hilfsweise machte er Auskunft über die mathematische Berechnung des Anteils der auf den Vertrag entfallenden Beteiligung an den Überschüssen und an den Bewertungsreserven einschl. ihrer Bewertungsgrundlagen sowie anschließender Auszahlung der ihm zustehenden Überschussbeteiligung geltend.

    Die Klage blieb vor dem Amts- und vor dem Landgericht erfolglos.

    Entscheidung des BGH:

    - § 153 Abs. 3 Satz 3 VVG n.F. nicht verfassungswidrig

    Der BGH hat im Hinblick auf den Hauptstreitpunkt entschieden, dass § 153 Abs. 3 Satz 3 VVG in der Fassung des LVAG nicht verfassungswidrig sei. Die gesetzliche Neuregelung enthalte eine präzisere Regelung gegenüber der Vorgängervorschrift. Sie stelle keine unzulässige Rückwirkung auf bereits abgeschlossene Lebenssachverhalte dar.

    Auch inhaltlich sei die Regelung nicht zu beanstanden. Der Gesetzgeber habe eine ausgewogene Regelung getroffen, die sowohl den Interessen der ausscheidenden Versicherungsnehmer als auch derjenigen, die ihre Verträge noch in Zukunft fortführen, Rechnung trage. Der Gesetzgeber sei nicht gehalten gewesen, den Interessen der ausscheidenden Versicherungsnehmer an der ungeschmälerten Beteiligung an den Bewertungsreserven den Vorrang vor den Interessen der Versicherungsnehmer zu geben, deren Verträge erst in Zukunft enden. Lebensversicherungsverträge seien üblicherweise auf längere Zeit, häufig auf Jahrzehnte, angelegt. Komme es aus zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht absehbaren Umständen, wie z. B. der langanhaltenden Niedrigzinsphase, zu nachhaltigen Störungen der Grundlage der Verträge, die in den Risikobereich keiner der Vertragsparteien fallen, so sei der Gesetzgeber nicht gehindert, hierauf durch gesetzliche Regelungen, deren Ziel es ist, dem Versicherer auch mittel- und langfristig die Erfüllung der von ihnen zugesagten Zinsgarantien zu ermöglichen, zu reagieren. Sich hieraus für den einzelnen Versicherungsnehmer ergebende Härten führten nicht zur Verfassungswidrigkeit der getroffenen Regelung. Vielmehr sei diese zur Sicherstellung einer dauerhaften Erfüllbarkeit der die Versicherer auch in Zukunft treffenden Verpflichtungen aus Verträgen mit zugesagten Garantiezinsen erforderlich.

    - Bestehen von Sicherungsbedarf im Einzelfall zu prüfen

    Allerdings hat der BGH das landgerichtliche Urteil aufgehoben und an das Landgericht zurückverwiesen, da dieses keine Feststellung dazu getroffen hat, ob tatsächlich ein Sicherungsbedarf des Versicherers gem. § 53 Abs. 3 Satz 3 VVG in Verbindung mit § 56 a Abs. 3 und 4 VAG a.F. bestanden habe.

    Hierbei hat das Gericht den Vortrag des Klägers, ihm stehe die mit Schreiben vom 01.07.2014 angekündigte Bewertungsreserve zu, als ausreichend angesehen. Explizit hat der BGH hierbei ausgeführt, dass beim derzeitigen Verfahrenstand vom Kläger mangels weiterer zumutbarer Erkenntnismöglichkeiten kein zusätzlicher Sachvortrag verlangt werden könne.

    Wenn der Versicherer geltend mache, nach dem am 07.08.2016 in Kraft getretenenLVRG bestehe bei ihm gem. § 153 Abs. 3 VVG i. V. m. § 56 Abs. 3 und 4 AVG a.F. ein Sicherungsbedarf, der eine Herabsetzung rechtfertige, so treffe ihn hierfür die sekundäre Darlegungslast. Er müsse im Einzelnen darlegen, dass ein entsprechender Sicherungsbedarf bestehe. Ob der Versicherer sich im Rahmen der versicherungsmathematischen Berechnung auf ein Geschäftsgeheimnis berufen könne, werde sich erst nach ergänzendem Vortrag des Versicherers feststellen lassen.

    Der Kläger habe auch einen Anspruch darauf, dass dies im zivilrechtlichen Verfahren zwischen ihm und der Beklagten geklärt wurde. Dem stehe auch nicht entgegen, dass die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) dem Versicherungsnehmer im Schreiben vom 12.12.2014 mitgeteilt habe, dass die Prüfung keine Anhaltspunkte dafür ergeben habe, dass der Versicherer im Rahmen seiner versicherungstechnischen Berechnungen zum falschen Ergebnis gekommen sei, da im Versicherungsaufsichtsrecht lediglich eine Missstands- und keine Rechtsmäßigkeitsaufsicht bestehe.

    Versicherte sollten die Auszahlungsleistungen von Lebensversicherungen sachkundig überprüfen lassen.

    Herbert Krumscheid

    In folgendem Newsletter erschienen : Newsletter 2/19

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