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    Finanzgericht Münster zur Verfassungswidrigkeit der Abzinsung von unverzinslichen langfristigen Verbindlichkeiten in der Steuerbilanz

    Die Frage der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Zinssätze betrifft nicht nur die vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) durch Urteil vom 18.08.2021 (Az.: 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17) entschiedene Regelung der §§ 233a, 238 AO, sondern auch weitere gesetzliche Reglungen.

    Hierzu zählt insbesondere auch die Frage der Abzinsung unverzinslicher Verbindlichkeiten nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG.Hierbei ist ein Zinssatz von 5,5% anzusetzen, wodurch ein gewinnwirksamer und steuerpflichtiger Ertrag realisiert wird. Die Höhe der Abzinsung wird angesichts des strukturellen Niedrigzinsniveaus, das sich seit der Bankenkrise von 2009 entwickelt hatte, vielfach für verfassungswidrig gehalten. Diese Position wurde durch das Urteil des BVerfG vom 18.08.2021 (Az.: 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17) zur Verfassungswidrigkeit von §§ 233a, 238 AO ab dem VZ 2014, über das wir in Newsletter 8/21 berichteten, gestärkt.

    Jetzt jedoch hat das FG Münster mit Urteil vom 22.07.2021 (Az.: 10 K 1707/20) die Abzinsung für den VZ 2016 noch für verfassungsgemäß erklärt.

    Im Streitfall hatte ein Gewerbetreibender in seiner Steuerbilanz zwei Verbindlichkeiten passiviert bei denen sich bei einer Nachprüfung herausstellte, dass sie erstmals 1996 bzw. 1998 angesetzt und nicht verzinst wurden. Das FA hat daraufhin die Verbindlichkeiten abgezinst und den ursprünglichen Steuerbescheid entsprechend geändert.

    Das FG sieht die Abzinsung von langfristigen Verbindlichkeiten gem. § 6 I Nr.3 S.1 EStG als mit dem Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar an. Art. 3 Abs.1 GG gebiete die Gleichbehandlung von wesentlich Gleichen und der Ungleichbehandlung von wesentlich Ungleichen. § 6 I Nr. 3 S.1 EStG beruhe auf der Erwägung, dass der Schuldner durch eine erst lange in der Zukunft zu erfüllende Verpflichtung weniger stark belastet werde. Bei der Bemessung dieses Vorteils dürfe der Gesetzgeber typisierend vorgehen. Diese Typisierung müsse sich allerdings an der Lebensrealität orientieren und dürfe sich keinen außergewöhnlichen Fall heraussuchen. Die Typisierung nach § 6 Abs. 1 Nr.3 EStG bewegen sich jedoch noch in diesem Rahmen.

    Zwar sei das Markzinsniveau bezogen auf die Person des Klägers und die konkreten Verbindlichkeiten im VZ 2016 im Vergleich zum gesetzlich festgelegten Abzinsungssatz niedrig gewesen. Allerdings differenziere § 6 Abs.1 Nr. 3 EStG (abgesehen von der Laufzeit von 12 Monaten) nicht weiter zwischen der Laufzeit der Verbindlichkeiten und der Person des Schuldners, sodass alle Markzinssätze in die Betrachtung einzustellen seien. Danach sei der Marktzins nicht so weit vom Abzinsungssatz entfernt, dass letzterer als ein atypischer Fall anzusehen sei.

    Auch verbiete sich eine Übertragung der Rechtsprechung des BFH zu den §§ 233a, 238 AO auf § 6 I Nr.3 EStG (das Urteil des FG Münster war schon am 22.07.2021 ergangen und könnte somit noch nicht das Urteil des BVerfG vom 18.08.2021 in Bezug nehmen).

    Zum einen handele es sich anders als bei den §§ 233a, 238 AO nicht um eine echte sondern nur um eine vorläufige Steuerbelastung. Durch die Abzinsung der Verbindlichkeit fielen die tatsächliche und die bilanzielle Höhe der Verbindlichkeit immer weiter auseinander, sodass mit der Rückführung der Verbindlichkeit erfolgswirksam. Aufwand entstehe, der den steuerpflichtigen Gewinn zu diesem Zeitpunkt mindere. Betroffen sei damit nur das „Wie“ nicht aber das „Ob“ der Besteuerung, sodass aus dem Gleichheitssatz des Art. 3 I GG weniger strenge Anforderungen für die Willkürfreiheit der angegriffenen Regelung abzuleiten seien. Dass aufgrund der progressiven Einkommensbesteuerung im Ergebnis doch eine geringfügige Belastung des Steuerpflichtigen entstehe, sei lediglich ein zu vernachlässigender Nebeneffekt. Die periodische Abschnittsbesteuerung sei verfassungsrechtlich in keiner Weise zu beanstanden.

    Zum anderen habe es der Steuerpflichtige durch entsprechende Gestaltungen selbst in der Hand die Abzinsung zu umgehen. Möglich sei etwa, durch Kettendarlehen (Darlehen wird für einen Zeitraum von unter 12 Monaten geschlossen und immer wieder verlängert) oder die Vereinbarung eines Zinssatzes knapp über 0 vH die Abzinsung zu umgehen.

    Das Urteil des FG Münster überrascht. Zwar hatte es schon im Mai dieses Jahres in einem anderen Verfahren (Az.: 3 V 505/21) zur Abzinsung nach § 6 I Nr.3 EStG entschieden; dort ging es aber um den VZ 2013. In seiner Entscheidung zu den §§ 233a, 238 AO hatte das BVerfG den VZ 2014 als maßgeblichen Wendepunkt definiert. Andere FG sehen dies aber anders wie der Beschluss des FG Hamburg vom 31.01.2019 (Az.: 2 V 112/18) und der Normenkontrollantrag des FG Köln (Az.: 10 K 977/17) vom 12.10.2017 zur Abzinsungsvorschrift für Pensionsrückstellungen (§ 6a Abs.3 S.3 EStG), wo sich eine identische Problematik stellt, beweisen. Dass sich auch das FG Münster der Richtigkeit seiner Auffassung nicht vollständig sicher ist, zeigt sich daran, dass es die Revision zum BFH zugelassen hat.

    Es bleibt somit spannend, wie BFH und BVerfG weiter mit der Problematik umgehen.

    Dr. Uwe Scholz

    Faris Schäfer, wissMit.

    In folgendem Newsletter erschienen : Newsletter 10/21

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