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    Kammergericht Berlin: Strenge Anforderungen an Geschäftsführer bei Vertrauen auf Begutachtung der Insolvenzsituation durch Berufsträger

    Das Kammergericht Berlin (KG) konnte sich in seinem Urteil von 28.04.2022, Az.: 2 U 39/18, neben anderen insolvenzrechtlichen Fragen zentral dazu äußern, unter welchen Voraussetzungen sich der Geschäftsführer einer GmbH auf ein eingeholtes Gutachten eines externen Beraters zur Überprüfung der Insolvenzreife der Gesellschaft verlassen konnte – und wann gerade nicht. Mit seinem Urteil führte das KG die bisherige Rechtsprechung des BGH zu diesem Themenkomplex konsequent fort. Zudem stellte das Gericht fest, dass sich der Verwalter zur Begründung der Überschuldung auf einen lediglich im Entwurf vorliegenden Jahresabschluss berufen kann.

    Die spätere Insolvenzschuldnerin war eine mit dem Vertrieb elektrischer Energie befasste Tochtergesellschaft eines Energiekonzerns. Im eröffneten Insolvenzverfahren nahm der Insolvenzverwalter den Geschäftsführer aufgrund möglicher Zahlungen nach Insolvenzreife aus § 64 Satz 1 GmbHG in der bis zum 31.12.2020 geltenden Fassung auf Zahlung von etwa 5,5 Mio. € in Anspruch. Das Landgericht Berlin wies die Zahlungsklage des Insolvenzverwalters ab, auf die Berufung des Klägers änderte das KG dieses Urteil ab und entsprach vollumfänglich dem Klageantrag. Der Annahme des Landgerichts, die Zahlungen seien mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar gewesen, da sich der Geschäftsführer auf die Begutachtung der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung durch die eingeschalteten Fachleute hätte verlassen dürfen, trat das KG mit überzeugender Begründung entgegen.

    Ausführlich führt das Gericht in Anknüpfung an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) aus, wann der Geschäftsführer sich auf ein eingeholtes Gutachten zur Insolvenzsituation der Gesellschaft verlassen kann, damit ein Verschulden aufgrund mangelnder Erkennbarkeit der Insolvenzreife ausscheidet.

    Notwendig sei eine Beratung des Vertretungsorgans durch einen unabhängigen, für die zu klärende Frage fachlich qualifizierten Berufsträger unter umfassender Darstellung der Verhältnisse der Gesellschaft und Offenlegung der erforderlichen Unterlagen sowie die Durchführung einer sorgfältigen Plausibilitätskontrolle hinsichtlich des erteilten Rechtsrats.

    Das KG ließ diese Möglichkeit der Exkulpation dabei an drei Punkten scheitern:

    (1) Die Begutachtung beträfe schon nicht die insolvenzrechtliche Lage der Schuldnerin, sondern eine hier unzulässige Konzernbetrachtung. Eine Begutachtung der Insolvenzschuldnerin wäre aber für eine Exkulpation notwendig. Der Gutachter hatte demgegenüber den Standpunkt vertreten, eine Konzernbetrachtung zur Feststellung der Insolvenzantragsgründe sei ausnahmsweise ausreichend gewesen. Dem hielt das KG entgegen: Die dafür angeführten Voraussetzungen einer umfassenden konzerninternen Patronatserklärung sowie eine in der Praxis gelebte Vereinbarung der Finanzausstattung der einzelnen Konzerngesellschaften untereinander habe der Geschäftsführer im Prozess nicht nachgewiesen. Mit dieser Begründung ließ das KG bereits den Einwand gegen die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit nicht zu.

    (2) Zudem habe der Beklagte dem Gutachter nicht unter Weitergabe aller notwendigen Informationen beauftragt. Diesem sei gesagt worden, Forderungen der Finanzverwaltung und der Sozialversicherungsträger begleiche man im Konzern zum Fälligkeitstag. Dies sei aber tatsächlich auch im Hinblick auf die spätere Insolvenzschuldnerin unzutreffend gewesen. Es hätte daher der gebotenen Sorgfalt eines Geschäftsführers entsprochen, den Gutachter nach Empfang des ersten Gutachtens darauf hinzuweisen, dass dieser von unrichtigen Umständen ausging.

    (3) Schließlich wies das KG den Einwand zurück, auch eine sorgfältig durchgeführte Plausibilitätskotrolle hätte keinen Anlass zu Beanstandungen des Gutachtens gegeben. Dieser Einwand stünde dem Beklagten bereits aus rechtlichen Gründen nicht zu. Der Anspruch des Insolvenzverwalters diene der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung, und für deren Interessen sei es unerheblich, ob das Verschulden des Geschäftsführers darin besteht, die Insolvenzreife nicht selbst hinreichend sorgfältig festgestellt oder ein Gutachten hierzu nicht auf Plausibilität geprüft zu haben. Denn auch die Vornahme der Plausibilitätskontrolle sei Ausfluss der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsführers. Davon abgesehen hätte die Kontrolle hier eben doch zu Beanstandungen führen müssen, da das Gutachten von einer Konzernbetrachtung ausging, obwohl hierfür nicht die tatsächlichen Voraussetzungen vorlagen (s. oben unter (1)).

    Würdigung:

    Das KG bleibt mit dieser Rechtsanwendung der bisherigen Rechtsprechungslinie des BGH zum berechtigten Vertrauen auf externe Begutachtung der Insolvenzgründe treu. Allein die Einholung eines fachlichen Gutachtens über die insolvenzrechtliche Lage exkulpiert den Geschäftsführer keineswegs, vielmehr muss er dafür Sorge tragen, dass der Gutachter auch von den korrekten tatsächlichen Gegebenheiten ausgeht: Außerdem muss ein eingeholtes Gutachten mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsführers auf Plausibilität überprüft werden. Wie umfangreich die Plausibilitätskontrolle durchgeführt werden muss, musste das KG hierbei nicht im Einzelnen klarstellen. Aus dem Urteil kann man gleichwohl als eine Mindestvoraussetzung festhalten, dass der Geschäftsführer prüfen muss, ob den rechtlichen Erwägungen die korrekten tatsächlichen Umstände zugrunde gelegt wurden; das stellt eine Selbstverständlichkeit dar.

    Zuzustimmen ist dem KG auch in dem rechtlichen Ausschluss des Beklagtenvorbringens, dass eine – pflichtwidrig unterlassene – Plausibilitätskontrolle nicht ursächlich für das Nichterkennen der Insolvenzreife gewesen sei (weil auch bei einer solchen Kontrolle der Fehler in dem Gutachten nicht bemerkt worden wäre). Der BGH hat bereits in früheren Urteilen die tatsächliche Vornahme eine Plausibilitätskontrolle als Teil der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters herausgestellt. Das Urteil des KG bestätigt insoweit die vom BGH bereits aufgestellten strengen Anforderungen an eine Entlastung des Geschäftsführers: Es besteht kein Anlass, den Geschäftsführer von der Haftung auszunehmen, der auf die Wahrnehmung seiner organschaftlichen Pflichten verzichtet und sich später zu Ungunsten der beeinträchtigten Gläubiger auf einen hypothetischen Geschehensablauf beruft. Denn von dem Geschäftsführer wird erwartet, dass er sich über die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft stets vergewissert. Das beinhaltet die Prüfung der Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit. Ohne eine Plausibilitätskontrolle wird man wohl kaum davon sprechen können, dass sich der Geschäftsführer hinsichtlich der wirtschaftlichen Lage der Gesellschaft vergewissert hätte.

    Aufschlussreich sind daneben auch die Ausführungen des Gerichts zur Heranziehung des Entwurfs eines Jahresabschlusses. Dieser habe Indizwert zur Begründung der Überschuldung der Gesellschaft, sodass der Insolvenzverwalter sein Vorbringen auf diesen stützen könne. Das Aufstellungsverfahren möge zwar auch dazu dienen, die Richtigkeit der Feststellungen zu gewährleisten, die hierfür maßgeblichen Umständen lägen aber in der Verantwortung und im Wahrnehmungsbereich des Geschäftsführers. Das Gericht vertritt daher die Auffassung, der Geschäftsführer müsse vortragen, an welcher Stelle der Entwurf im Einzelnen zu korrigieren sei. Allein das Fehlen des förmlichen Beschlusses des Jahresabschlusses begründe keine Bedenken gegen den Inhalt und die Indizkraft der im Entwurf enthaltenen – eine Insolvenzreife nahelegenden – Feststellungen.

    Dem KG ist auch in diesem Punkt zuzustimmen. Die Aufstellung des Jahresabschlusses ist klassische Pflicht des Vertretungsorgans der Kapitalgesellschaft. Wenn der Entwurf daher in den Verantwortungsbereich des Geschäftsführers fällt, ist es auch nur konsequent, ihm im Prozess den Vortrag aufzuerlegen, inwiefern dieser Entwurf zu korrigieren sei.

    Insgesamt bewegt sich das KG mit dem Urteil im höchstrichterlichen Fahrwasser und überzeugt aufgrund der stringenten Anwendung der bereits bestehenden Grundsätze. Die Nichtzulassung der Revision ist daher konsequent. Allein die Heranziehung des Entwurfs des Jahresabschlusses als Indiz für die Überschuldung dürfte ein echtes Novum sein. Die gerichtlichen Erwägungen zu den hier angesprochenen Punkten müssen Geschäftsführer wohl auch weiterhin nach der Einführung des § 15b InsO zum 01.01.2021 beachten, wenn sie externe Berater in Zukunft zur Feststellung der Insolvenzreife heranziehen. Mit der Zusammenfassung der Zahlungsverbote im § 15b InsO wird aufgrund des im Kern hierzu gleichbleibenden Gesetzeswortlaut nicht davon auszugehen sein, dass sich die Rechtsprechung an zentralen Punkten, wie etwa dem vermuteten Verschulden, ändern wird. Damit sei ein Geschäftsführer einer GmbH davor gewarnt, sich vorschnell auf gutachterlichen Rat hinsichtlich der insolvenzrechtlichen Lage der Gesellschaft zu verlassen.

    Dr. Thomas Heidel /Leo Kegel, wiss. Mitarbeiter

    In folgendem Newsletter erschienen : Newsletter 7/22

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