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    Kein aktienrechtliches Schweigerecht gegenüber Aufsichtsbehörden

    Vorstände und Aufsichtsräte von Aktiengesellschaften sind grundsätzlich verpflichtet, über vertrauliche Angaben und Geheimnisse der Gesellschaft, namentlich Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse, Stillschweigen zu bewahren. Nach einem aktuellen Urteil des Bundessozialgerichts gilt dies jedoch nicht gegenüber Aufsichtsbehörden.

    Das aktuelle Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) weist über den Bereich des Sozialrechts weit hinaus, da sich die Frage der Reichweite aktienrechtlicher Geheimhaltungspflichten und damit auch entsprechender Auskunftsverweigerungsrechte gegenüber Aufsichtsbehörden auch in anderen Zusammenhängen stellt.

    Die Entscheidung des BSG: Ein Zusammenschluss von Krankenkassen zu einer Arbeitsgemeinschaft (ArGe) in der Rechtsform der Aktiengesellschaft darf gegenüber aufsichtsbehördlichen Auskunftsverlangen nicht aufgrund aktienrechtlicher Pflichten schweigen. Dies hat der 1. Senat des Bundessozialgerichts am 8. Oktober 2019 entschieden und die Revision der beigeladenen Aktiengesellschaft zurückgewiesen (Aktenzeichen B 1 A 1/19 R).

    Die Klägerin, eine Betriebskrankenkasse, ist zusammen mit anderen Krankenkassen Aktionärin der beigeladenen Aktiengesellschaft. Diese führt als Arbeitsgemeinschaft strukturierte Behandlungsprogramme bei Versicherten durch („Disease-Management-Programme“). Die beklagte Bundesrepublik ist die Trägerin ihrer Aufsichtsbehörde, des Bundesversicherungsamts (BVA). Das BVA forderte vergeblich von der Aktiengesellschaft und einer ihrer Aktionärinnen, einer Krankenkasse, Auskünfte. Die Aufsichtsbehörde wollte insbesondere die Gründe für die enorm hohen Jahresüberschüsse der Krankenkasse wissen und des Weiteren eine Schwerpunktprüfung im Bereich "Mietverhältnisse und Immobilien" durchführen. Die Krankenkasse und die in dem Verfahren beigeladene ArGe-AG verweigerten die Auskünfte und beriefen sich dafür auf aktienrechtliche Schweigepflichten. Die Aufsichtsbehörde verpflichtete die Klägerin und alle anderen Krankenkassen, die Aktionäre der ArGe waren durch einen Bescheid, die Prüf- und Informationsrechte der Aufsichtsbehörden gegenüber der ArGe-AG anzuerkennen und auf die Aufnahme einer Bestimmung in deren Satzung hinzuwirken, wonach diese Auskunfts- und Vorlageansprüche der für ihre Gesellschafter zuständigen Aufsichtsbehörden erfüllen werde.

    Die dagegen erhobene Klage ist erfolglos geblieben. Das Bundessozialgericht hat die Revision der beigeladenen Aktiengesellschaft zurückgewiesen. Die Beigeladene müsse als der staatlichen Aufsicht unterliegende Arbeitsgemeinschaft deren Auskunftsansprüche erfüllen und die Aufsicht über ihre Aktionäre, die Krankenkassen, ermöglichen. Die satzungsmäßige Verankerung der Informationspflichten sichere die wirksame Aufsicht, indem sie die gesetzlichen Pflichten verdeutliche. Die aktienrechtlichen Verschwiegenheitspflichten stünden dem nicht entgegen. Sie fänden dort ihre Grenze, wo eine gesetzliche Offenlegungspflicht besteht. Hierzu gehören auch Auskunftsrechte der Aufsichtsbehörden.

    Den Geheimhaltungsrechten und entsprechende Auskunftsverweigerungsrechte von Aktiengesellschaften gegenüber staatlichen Aufsichtsbehörden sind damit enge Grenzen gesetzt. Dasselbe, was das Bundessozialgericht hier bezüglich Auskunftsansprüchen der Aufsichtsbehörde Bundesversicherungsamt entschieden hat, wird auch gegenüber anderen Aufsichtsbehörden zu gelten haben. So sehen die Normen, die für Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder von Aktiengesellschaften Geheimhaltungspflichten anordnen (§ 93 Abs. 1 S. 3 AktG, § 116 S. 1, 2 AktG) in § 93 Abs. 1 S. 4 AktG bereits selbst eine Ausnahme von der Verschwiegenheitspflicht gegenüber der Prüfstelle nach § 342b des Handelsgesetzbuchs vor. Zu denken ist auch an die Wertpapier- und Bankenaufsicht (BaFin) mit Prüfrechten etwa gem. § 37o Abs. 4 Wertpapierhandelsgesetz (WpHG), aber auch an andere Aufsichtsbehörden wie etwa die Versicherungsaufsicht oder die Gewerbeaufsichtsämter. Die staatliche Aufsicht würde leerlaufen, wenn zu beaufsichtigende Unternehmen unter Berufung auf die aktienrechtlichen Verschwiegenheitspflichten die für die Ausübung der Aufsicht benötigten Informationen verweigern dürfen. Zum Schutz der Gesellschaften gibt es das Korrektiv der eigenen Verschwiegenheitspflichten der Aufsichtsbehörden, die die angeforderten Informationen nur im Rahmen ihrer Aufsichtspflichten erheben und verwenden und nicht an unbefugte Dritte weitergeben dürfen.

    Im Einzelfall bedarf es für die Organe der Aktiengesellschaft wegen der drohenden Haftung bei Pflichtverletzungen gem. §§ 93, 116 AktG der genauen Prüfung, welche Informationen den Aufsichtsbehörden auf Anfrage bekannt gegeben werden müssen und welche im Interesse der Aktiengesellschaft vertraulich zu behandeln sind und evtl. – bei im Übermaß angeforderten Informationen – auch gegenüber den Aufsichtsbehörden zurückbehalten werden dürfen.

    Dr. Gerd Krämer

    In folgendem Newsletter erschienen : Newsletter 6/19

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