Meilicke Hoffmann und Partner - Anwaltskanzlei Bonn

    Newsletter

    Organhaftung kann scharf sein

    Vor gut zwei Jahren hatte der Bundesgerichtshof (BGH) entgegen den Erwartungen Vieler einmal mehr mit der Organhaftung Ernst gemacht; er postulierte damals zwei für die Praxis brisante Rechtsgrundsätze: Erstens beginnt die Verjährung von Schadensersatzansprüchen einer Aktiengesellschaft gegen den Aufsichtsrat wegen des Verjährenlassens ihrer Ersatzansprüche gegen den Vorstand erst mit der Verjährung dieser Ansprüche; und zweitens und noch brisanter, das auf Schadensersatz in Anspruch genommene Organmitglied kann sich nicht darauf berufen, dass es sich zur Vermeidung seiner eigenen Haftung selbst bezichtigen müsse (Urteil vom 18.9.2018; Newsletter 2/2019). Fast 20 Aufsätze in der Fachliteratur zu dem von uns gemeinsam mit dem BGH-Anwalt erstrittenen Grundsatzurteil belegen das ungewöhnlich lebhafte Echo und die Brisanz der damaligen Entscheidung. Endgültig entscheiden konnte der BGH die Sache damals nicht, er verwies sie zur weiteren Aufklärung zurück an das Oberlandesgericht Düsseldorf. Das hat nun entschieden, dass das Aufsichtsratsmitglied tatsächlich zum Schadensersatz verpflichtet ist – und zwar im Ursprung wegen einer Schädigung der Aktiengesellschaft dadurch, dass sie vor nahezu zwei Jahrzehnten dem Aufsichtsratsmitglied als Aktionär einen unberechtigten Vorteil gewährt hatte.

    Der Sachverhalt ist komplex. Sehr vereinfacht handelt er davon, dass die Aktiengesellschaft 2002 kurz vor der Insolvenz stand. Sie konnte nur durch eine Millionen-Zahlung des nun Beklagten gerettet werden, zu der er sich gegenüber Banken verpflichtet hatte und so Teile der Verbindlichkeiten der Gesellschaft ablöste. Der Beklagte wurde im Zuge der Krise der Gesellschaft ihr Aktionär und Aufsichtsratsvorsitzender; er hielt ca. 30 Prozent des Grundkapitals. Parallel dazu schloss er mit der Gesellschaft eine Vereinbarung über die Auskehrung von Erlösen aus dem Verkauf einer Beteiligung der Gesellschaft an einem anderen Unternehmen. Auf Grundlage dieser Vereinbarung kehrte die Gesellschaft einige Zeit später den Erlös an den Beklagten aus. Sie überwand danach ihre Krise und entwickelte sich zu einem florierenden Unternehmen. Ansprüche wegen der Rückzahlung 2002 machte die Gesellschaft nie geltend. 2012 kam die alte Sache hoch. Es gab Unstimmigkeiten im Aktionärskreis, die sich u.a. gegen den Aufsichtsratsvorsitzenden richteten. Der war noch herrschender Aktionär, er hatte jahrelang die sichere Hauptversammlungsmehrheit, der Vorstand stand ihm nah. Schließlich beschloss die Hauptversammlung, gegen den Aufsichtsratsvorsitzenden und herrschenden Aktionär Ersatzansprüche geltend zu machen, u.a. wegen der Auskehrung des Verkaufserlöses. Zu deren Durchsetzung setzte sie den Autor dieses Beitrags als Besonderen Vertreter ein. Für den Beschluss hatten die Minderheitsaktionäre die Mehrheit. Denn ein Aktionär unterliegt einem Stimmverbot, wenn die Hauptversammlung über die Geltendmachung von Ansprüchen gegen ihn entscheidet. Der Besondere Vertreter erhob umgehend Klage. Er befürchtete die Verjährung der Ansprüche aus dem damals ein Jahrzehnt zurückliegenden Komplex um die Auskehrung des Verkaufserlöses. Erstinstanzlich hatte er mit der Klage auf der ganzen Linie Erfolg. Die zweite Instanz, das Oberlandesgericht Düsseldorf, meinte indessen, die Ansprüche gegen den Beklagten seien bereits bei Klageerhebung unter allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten verjährt gewesen. Insbesondere hafte der Beklagte nicht als Aufsichtsratsvorsitzender. Zwar habe der Vorstand möglicherweise schon früher Ansprüche gegen den Beklagten wegen der alten Sache geltend machen müssen. Auch wenn dieser es als Aufsichtsratsmitglied versäumt habe, den Vorstand zu pflichtgemäßem Handeln anzuhalten, sei ihm daraus kein Vorwurf zu machen. Denn damit hätte er sich ja gleichzeitig selbst bezichtigen müssen, da ihn die Auskehrung des Verkaufserlöses begünstigte. 2018 hob der BGH das Urteil der zweiten Instanz in der eingangs erwähnten sog. Easy Software-Entscheidung auf. Im aktuellen Urteil schließt sich das Oberlandesgericht nach Zurückverweisung durch den BGH in der Verjährungsfrage dessen Sicht an und bejaht auch der Sache nach die Haftung des (mittlerweile ehemaligen) Aufsichtsrats. Der hat gegen das aktuelle Urteil Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision eingelegt, über die noch nicht entschieden ist.

    Das Oberlandesgericht sagt in seiner Entscheidung zunächst, auf welcher Grundlage der Aufsichtsratsvorsitzende seiner Meinung nach entgegen der Sicht der Gesellschaft nicht haftet: Die Auskehrung des Erlöses aus dem Verkauf der Unternehmensbeteiligung durch die Gesellschaft sei als solche nicht unzulässig. Darin liege keine unzulässige Einlagenrückgewähr. Die Annahme einer solchen lag sehr nahe; haftungstechnisch hätte deren Bejahung bedeutet, dass der Vorstand verpflichtet gewesen wäre, wegen der Rückgewähr Ersatzansprüche gegen den Aufsichtsratsvorsitzenden in seiner Eigenschaft als begünstigter Aktionär geltend zu machen; da der Vorstand dies unterließ, wäre der Aktionär in seiner Funktion als Aufsichtsrat dafür in die Haftung zu nehmen gewesen. Doch diesen Weg beschreitet das Oberlandesgericht nicht. Es verneint nämlich die Voraussetzung für eine Einlagenrückgewähr. Eine solche liegt unter anderem dann vor, wenn eine Aktiengesellschaft mit einem Aktionär ein Geschäft zu Bedingungen schließt, die nicht denen mit einem fremden Dritten entsprechen. Mit anderen Worten, dessen Konditionen nicht marktüblich sind bzw. bei dem zwischen der Leistung des Aktionärs und der Gegenleistung der Aktiengesellschaft zu deren Nachteil ein objektives Missverhältnis besteht. Zweifel an der Drittgleichheit drängten sich auf; nach dem Vertrag über die Auskehrung des Kaufpreiserlöses in Millionenhöhe brauchte der Aufsichtsratsvorsitzende nämlich nur eine Kreditlinie für die Gesellschaft bei einer Bank aufrecht zu erhalten oder zu öffnen – was auch gelang. Der Beklagte erreichte dies u.a. durch seine Bürgschaft für die Forderung der Bank aus der Kreditlinie, auf die die Bank nicht zurückgriff; die Gesellschaft erkaufte sich die Linie letztlich selbst zumal durch die Zahlung einer sehr hohen Provision an die Bank (mehr als 10 Prozent der Kreditlinie) für die Einräumung des Kredits. Dennoch meint das Oberlandesgericht, von einem Ungleichgewichtig zwischen Leistung des Beklagten einerseits und andererseits der Gesellschaft könne keine Rede sein: Banken seien an sich nicht mehr bereit gewesen, die Gesellschaft wegen ihrer damaligen Insolvenznähe zu finanzieren; andere Quellen, um Geld oder Sicherheiten zu stellen, habe die Gesellschaft bis zum Eingang des Erlöses aus der Veräußerung ihrer Unternehmensbeteiligung nicht besessen; die Öffnung der Kreditlinie habe nur gelingen können, wenn der Beklagte Geld oder Sicherheiten stellte. Der Erhalt der Kreditlinie scheine für die Gesellschaft ohne Unterstützung des Beklagten ausgeschlossen. Daher sei das Geschäft nicht unangemessen gewesen.

    Das Oberlandesgericht bejaht aber eine Haftung des Beklagten als Aufsichtsratsvorsitzender, weil die ursprünglichen Geschäfte unter die Vorschriften eigenkapitalersetzender Darlehen gefallen seien. Dafür muss es sechs Hürden nehmen, die das Gericht alle meistert: (1) Wirtschaftlich betrachtet seien die Millionen-Zahlungen des Beklagten an die Banken ein eigenkapitalersetzendes Darlehen gewesen, (2) die Auskehrung des Kaufpreiserlöses an ihn die unzulässige Rückzahlung dieses Darlehens; (3) der Vorstand hätte daher von ihm als Aktionär die Rückzahlung verlangen müssen, was er unterlassen habe; (4) das löse einen Schadensersatzanspruch der Gesellschaft gegen den Vorstand aus, die der Aufsichtsrat hätte geltend machen müssen; (5) das habe der Aufsichtsrat unterlassen, er habe die Ansprüche der Gesellschaft gegen den Vorstand pflichtwidrig verjähren lassen; (6) dafür hafte nun der Beklagte als damaliges Mitglied des Aufsichtsrats. Hintergrund für die Haftung ist der bis 2008 geltende, wesentlich von der Rechtsprechung geprägte Rechtsgrundsatz (sogenannte „Rechtsprechungsregeln“), dass stark beteiligte Aktionäre ebenso wie Gesellschafter einer GmbH eine Finanzierungsverantwortung für ihre Gesellschaft tragen: In einer Krise der Gesellschaft müsse ein ordentlicher Gesellschafter seiner Gesellschaft Eigenmittel zur Verfügung stellen, oder diese müsse Insolvenz beantragen; finanziere er seine Gesellschaft stattdessen nur per Darlehen, dann durften diese erst nach Beendigung der Krise zurückgezahlt werden. Geschah dies vorher, musste die Gesellschaft die Rückzahlung verlangen. Der Rückzahlungsanspruch erlosch nicht, sondern blieb wie im hier besprochenen Fall bestehen, wenn erst zurückgezahlt und später die Krise überwunden wurde. In diese Haftungsfalle tappten die Beteiligten mit der Auskehrung des Kaufpreiserlöses aus der Veräußerung der Unternehmensbeteiligung der Gesellschaft vor endgültiger Abwendung der Insolvenzgefahr. Das Oberlandesgericht bewertete nämlich zum einen die Zahlung des Beklagten an die Banken auf die Schulden der Gesellschaft als Eigenkapitalersatz; darüber kann man kaum streiten, wenn man die Zahlung nicht ohnehin als nicht-rückzahlbare Einlage des Beklagten wertet. Und zum anderen sah es die Auskehrung des Erlöses aus der Veräußerung der Unternehmensbeteiligung als Rückzahlung des Darlehens an den Beklagten vor Überwindung der Krise der Gesellschaft. Da der Vorstand vom Beklagten pflichtwidrig die Rückzahlung des Darlehens nicht zurückforderte, entstand ein entsprechender Ersatzanspruch der Gesellschaft gegen den Vorstand. Diesen hätte der Aufsichtsrat rechtzeitig vor Verjährung geltend machen müssen. Das unterließ er. Darin liegt eine Pflichtwidrigkeit des Aufsichtsrats – und zwar auch des Beklagten als Aufsichtsratsvorsitzender: Der hatte zwar selbst die Vorteile der Rückzahlung des eigenkapitalersetzenden Darlehens und der späteren Nicht-Geltendmachung der Erstattungsforderung durch den Vorstand. Das ändert aber nichts an seiner Pflicht, für den Erhalt des Vermögens der Gesellschaft zu sorgen, u.a. durch das Eintreiben von Forderungen, selbst wenn sie gegen das Organmitglied selbst gerichtet sind.

    Das Oberlandesgericht setzt die Vorgaben des Bundesgerichtshofs aus der Easy Software- Entscheidung konsequent und im Ergebnis korrekt um. Streiten lässt sich über die Einordnung des Ursprungsgeschäfts als marktüblich. Die Entscheidung zeigt einmal mehr, wie wichtig das Instrument des besonderen Vertreters zur Durchsetzung des Vermögensschutzes von Aktiengesellschaften sein kann, aber auch für andere Gesellschaften. Hätten die anderen Aktionäre nicht wegen des Stimmverbots des herrschenden Aktionärs die Pflicht der Gesellschaft beschließen können, deren Ersatzansprüche durchzusetzen, wäre es um den Vermögensschutz der Gesellschaft schlecht bestellt. Denn so wie der Aufsichtsrat die Ersatzansprüche gegen den Vorstand hatte verjähren lassen, wäre der Aufsichtsrat ohne den Beschluss der Hauptversammlung wohl nie und nimmer auf Schadensersatz in Anspruch genommen worden. Die Schädigung des Vermögens der Aktiengesellschaft vor 20 Jahren wäre wie mit dem Mantel des Vergessens überdeckt worden und verjährt.

    Dr. Thomas Heidel

    In folgendem Newsletter erschienen : Newsletter 2/21

    Drucken | Teilen



    Ähnliche Artikel

    Easy Software AG obsiegt mit MH&P in zwei Verfahren vor dem BGH

    Der BGH hat zugunsten der börsennotierten Easy Software AG zwei Organhaftungsklagen gegen ehemalige Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder entschieden. Beide Verfahren initiierte Dr. Thomas Heidel als besonderer Vertreter. MH&P vertrat die Gesellschaft als Prozessbevollmächtigte.

    Wann beginnt die Verjährung von Schadensansprüchen aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gegen VW?

    Gemäß § 199 BGB beginnt die regelmäßige Verjährungsfrist erst dann zu laufen, wenn der Anspruch entstanden und der Gläubiger von den den Ansprüch begründenen Umständen und der Person der Schuldners Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen.

    Sonderprüfer – Stumpfes Schwert oder effektives Kontrollinstrument?

    Mit der Sonderprüfung nach § 142 AktG ff. soll den Aktionären ein Kontrollinstrument an die Hand gegeben werden, um die Sachverhaltsaufklärung bei dem Verdacht eines pflichtwidrigen Organhandelns sicherzustellen. Der Sonderprüfer soll durch seine Sachverhaltsaufklärung die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen vorbereiten. Dies dient auch dem präventiven Schutz vor zukünftigen Pflichtverletzungen. Nach den eindeutigen gesetzlichen Regelungen ist der Sonderprüfer also ein die Aktionärsminderheit schützendes Rechtsinstitut. Dieses gesetzliche Leitbild wird in der Praxis noch konterkariert, ein Umdenken setzt gerade erst ein.