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    Paukenschlag des BAG: zwingende Arbeitszeiterfassung für alle Arbeitnehmer?

    Der Arbeitgeber ist nach der aktuellen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts verpflichtet, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann.

    Dem Bundesarbeitsgericht (BAG), Beschluss vom 13. September 2022, Az.: 1 ABR 22/21, lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Betriebsrat und die Arbeitgeberinnen eines Unternehmens in Nordrhein-Westfalen schlossen im Jahr 2018 eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit. Zeitgleich führten sie Verhandlungen über die Einführung eines Systems zur elektronischen Arbeitszeiterfassung. Die Arbeitgeberinnen brachen die selbst initiierten Gespräche jedoch ab und wollten die Einführung einer elektronischen Arbeitszeiterfassung nicht weiterverfolgen. Der Betriebsrat wollte die Verhandlungen fortsetzen und rief die dafür zuständige Einigungsstelle an.

    Das Landesarbeitsgericht Hamm, Beschluss vom 27. Juli 2021, Az.: 7 TaBV 79/20, gab dem Antrag des Betriebsrats statt, da dem Betriebsrat gem. § 87 I Nr. 6 BetrVG ein Initiativrecht bei der Einführung einer elektronischen Zeiterfassung zustehe.

    Die gegen diese Entscheidung gerichtete Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberinnen hatte vor dem Ersten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Der Betriebsrat hat nach § 87 Abs. 1 BetrVG in sozialen Angelegenheiten nur mitzubestimmen, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht. Bei unionsrechtskonformer Auslegung von § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG ist der Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet, die Arbeitszeiten der Arbeitnehmer zu erfassen. Aufgrund dieser gesetzlichen Pflicht kann der Betriebsrat die Einführung eines Systems der (elektronischen) Arbeitszeiterfassung im Betrieb nicht mithilfe der Einigungsstelle erzwingen. Dies schließt ein – ggfs. mithilfe der Einigungsstelle durchsetzbares – Initiativrecht des Betriebsrats zur Einführung eines Systems der Arbeitszeiterfassung aus.

    Die Arbeitgeberinnen haben damit vor dem BAG gewonnen und das Initiativrecht des Betriebsrates abgewehrt. Die Freude hält sich aber in Grenzen: Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner Pressemitteilung erklärt, dass die Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet sind, die Arbeitszeiten der Arbeitnehmer zu erfassen. Begründet wird dies mit dem Arbeitsschutzgesetz, das für alle Betriebe in Deutschland – mit oder ohne Betriebsrat – gilt. Damit sind die Folgen der Entscheidung für die Praxis immens. Es könnte das Ende der auch von Arbeitnehmern liebgewonnenen Vertrauensarbeitszeit sein, ebenso wird eine Beschäftigung im Homeoffice umso schwieriger. Wie soll der Arbeitgeber die Arbeitszeiten hier erfassen? Wenn man den ersten Satz der Pressemitteilung wörtlich nimmt, reicht auch eine Lösung mittels einer Handy-Anwendung („App“) nicht, vielmehr müssten alle Unternehmen Stechuhren einführen. Soll das ein Fortschritt sein? Auf die Entscheidungsgründe darf man gespannt sein.

    Dr. Irini Ahouzaridi

    In folgendem Newsletter erschienen : Newsletter 7/22

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