Meilicke Hoffmann und Partner - Anwaltskanzlei Bonn

    Newsletter

    Rechtsprechung macht Sonderprüfer zu zahnlosem Tiger

    Ein Beitrag in unserem Newsletter 2/2020 stand unter der Überschrift: „Sonderprüfer – Stumpfes Schwert oder effektives Kontrollinstrument?“ Die Antwort auf unsere damalige Frage wird immer klarer. Die Gerichte weisen den Vorständen und Aufsichtsräten einen einfachen Weg, die Durchführung einer Sonderprüfung „nahezu unmöglich“ zu machen und die „Tätigkeit des Sonderprüfers zu unterminieren“, wie es der bekannte Wiener Universitätsprofessor Sebastian Mock jüngst kritisierte (ZIP 2025, 246): Gerichte verneinen den durch Klage oder im vorläufigen Rechtsschutz durchsetzbaren Anspruch des Sonderprüfers auf Herausgabe von Unterlagen. So nach LG und OLG München im Jahr 2019 nun auch das Oberlandesgericht Frankfurt in einer kürzlich bekannt gewordenen rechtskräftigen Entscheidung.

    Worum geht es in dem Fall?

    § 145 des Aktiengesetzes enthält eine scheinbar klare Vorschrift. Da heißt es: „Der Vorstand hat den Sonderprüfern zu gestatten, die Bücher und Schriften der Gesellschaft sowie die Vermögensgegenstände … zu prüfen. Die Sonderprüfer können von den Mitgliedern des Vorstands und des Aufsichtsrats alle Aufklärungen und Nachweise verlangen, welche die sorgfältige Prüfung der Vorgänge notwendig macht. Die Sonderprüfer haben die Rechte … auch gegenüber einem Konzernunternehmen sowie gegenüber einem abhängigen oder herrschenden Unternehmen.“ Beim Oberlandesgericht Frankfurt ging es um den zweiten Satz, dass Sonderprüfer von den Mitgliedern der Verwaltungsorgane alle Informationen „verlangen können“, die ihre Prüfung erfordert. Im hier zu besprechenden Frankfurter Fall hatte die Hauptversammlung einer (in den Gerichtsentscheidungen nicht genannten) Aktiengesellschaft 2023 den Sonderprüfer bestellt, der nun das gerichtliche Verfahren auf vorläufigen Rechtsschutz betrieb. Der Prüfer sollte Vorgänge untersuchen im Zusammenhang mit der unentgeltlichen Übertragung von Know-how der Aktiengesellschaft auf deren ehemaliges Vorstandsmitglied bzw. einer mit ihm verbundenen Gesellschaft. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung richtete sich gegen den derzeitigen Alleinvorstand der Aktiengesellschaft. Der Sonderprüfer verlangte vom Vorstand vor dem Prozess die Übersendung der für seine Prüfung relevanten Unterlagen über Umsätze von Konten der Aktiengesellschaft in einem bestimmten Zeitraum. Der Vorstand weigerte sich. Daher begehrte der Sonderprüfer vorläufigen Rechtsschutz. Das erstinstanzlich zuständige Landgericht Darmstadt lehnte den Antrag ab (Beschluss vom 22. November 2023, Aktenzeichen 20 O 76/23); das Oberlandesgericht wies die Beschwerde des Sonderprüfers zurück (Beschluss vom 12. März 2024 – 21 W 153/23 –).

    Entscheidung des Gerichts

    Das Oberlandesgericht meint, der Sonderprüfer habe keinen im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes (oder der Klage) durchsetzbaren Anspruch auf Herausgabe vor Unterlagen. Es schrieb, § 145 AktG „beinhaltet keinen durchsetzbaren zivilrechtlichen Anspruch des Sonderprüfers gegenüber den einzelnen Mitgliedern des Vorstands oder des Aufsichtsrats“. Zwar stehe der Wortlaut der Vorschrift dem Verständnis eines durchsetzbaren Anspruchs nicht entgegen. Es gebe aber den § 407 AktG. Der sehe vor, dass das Recht des Sonderprüfers „mittels eines Zwangsgeldverfahrens und nicht mittels eines zivilrechtlichen Anspruchs gegen einzelne Organmitglieder der Gesellschaft durchzusetzen“ sei. Das Oberlandesgericht räumt ein: „Dadurch bedingt“ möge es „im Einzelfall im Ergebnis zu Defiziten der Kontroll- und Minderheitenrechte der Aktionäre kommen“; die „denkbaren Defizite zu beseitigen“ sei aber nicht Aufgabe der Rechtsprechung, sondern gegebenenfalls des Gesetzgebers – was auf der Linie des OLG München in der in unserem Newsletter 2/2020 besprochenen Entscheidung (Beschluss vom 4. November 2019, Az.: 7 W 1118/19; ähnlich zuvor erstinstanzlich Landgericht München I, Beschluss vom 10. September 2019 – 5 HK O 11537/19 –) liegt, dass der Gesetzgeber die Regelungen zur Sonderprüfung als „stumpfes Schwert“ ausgestaltet habe.

    Wie die Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt einzuordnen ist

    In der Literatur ist streitig, ob der Sonderprüfer einen mit der Klage durchsetzbaren Anspruch auf die Erteilung der erforderlichen Informationen hat. Der Bundesgerichtshof hat sich mit der Frage nicht befasst; das liegt daran, dass die bisherigen Entscheidungen in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ergangen sind; ob es jemals zu einer Entscheidung des höchsten Gerichts kommen wird, kann man angesichts der typischen Prozessdauer über drei Instanzen bezweifeln; bis dahin wird regelmäßig eine Sonderprüfung abgeschlossen sein. Die offenbar einzigen Gerichtsentscheidungen zur Frage sind die den Anspruch verneinenden o.g. Beschlüsse der Oberlandesgerichte München und nun Frankfurt sowie ihre erstinstanzlichen Vorläufer. Nachhaltig kritisiert hat die Verneinung Daniel Lochner 2021 in der Festschrift Heidel. Seiner Ansicht sind in Aufsätzen auch die Universitätsprofessoren Sebastian Mock und Rafael Harnos sowie der angesehene Wirtschaftsprüfer Matthias Schüppen; auch in der juristischen Kommentarliteratur gibt es Kritik – aktuell insb. von Jens Koch in seinem Kommentar zum Aktiengesetz (19. Aufl. 2025, § 145 Rn. 5a; kritisch auch Gerald Spindler in Schmidt/Lutter Aktiengesetz 5. Aufl. § 145 Rn. 19a). Die wohl herrschende juristische Literaturmeinung sieht die Dinge aber so wie die o.g. Oberlandesgerichte (so zB die Kommentare zum Aktiengesetz von Grigoleit sowie Münchener und Kölner Kommentar, Nomos- und Groß- Kommentar). Die argumentieren typischerweise formalistisch und verweisen auf die Möglichkeit des Zwangsgelds. Zu Ende gedacht scheint das aber nicht. Denn das Zwangsgeld ist, wie es Mock formuliert, „aus der Zeit gefallen“; dies beträgt nur bis zu € 5000; es kann nur gegen den Vorstand gerichtet werden; kaum jemand, der etwas verheimlichen will, wird sich durch so einen Betrag mit allenfalls Symbolwert abschrecken lassen. Zudem hat der Sonderprüfer nicht einmal ein eigenes Antragsrecht auf Verhängung eines Zwangsgelds. Ein solches gegen informationspflichtige Aufsichtsratsmitglieder und verbundene Unternehmen fehlt gänzlich.

    Man wird sich darauf einstellen müssen, dass Oberlandesgerichte weiterhin die Effektivität der Rechte der Sonderprüfung mindern und den Ball zur Beseitigung dieses von ihnen sogar ausdrücklich angesprochenen Vollzugsdefizits dem Gesetzgeber zuspielen. Bis vielleicht doch eines fernen Tages der Bundesgerichtshof die Frage aufwirft, ob nicht die Gerichte das Vollzugsdefizit erst aufgrund ihrer eigenen (wie auch mir scheinen will: unrichtigen) Auslegung des Gesetzes herbeiführen. Oder man setzt auf den Gesetzgeber, der sich nun gerade neu formiert und der für eine effektive Rechtsdurchsetzung sorgen könnte. Oder (Ober-)Landesgerichte beherzigen mal den Spruch von Friedrich dem Großen „Il y a des juges à Berlin“: Denn andere Gerichte sind durch die Entscheidungen der Justiz in Frankfurt und München nicht gebunden und könnten dem Sonderprüfer wieder Zähne geben.

    Dr. Thomas Heidel

    In folgendem Newsletter erschienen : Newsletter 4/25

    Drucken | Teilen