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    Virtuelle Hauptversammlung kommt ins Aktiengesetz

    Mit der Corona-Pandemie hat der Gesetzgeber durch eine befristete Sondergesetzgebung im Aktienrecht erstmals die virtuelle Hauptversammlung eingeführt. Nach dem Gesetzesentwurf vom 10. Mai 2022 zur Einführung virtueller Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften soll das viel kritisierte Provisorium der Corona-Gesetzgebung bereits Anfang September durch eine dauerhafte Regelung im Aktiengesetz abgelöst werden.

    Die gewissermaßen aus der Not der Corona-Pandemie geborene provisorische Reglung einer virtuellen Hauptversammlung gilt nur schon seit über 2 Jahren und hat aufgrund der massiven Einschränkungen der Aktionärsrechte (insbesondere Einschränkung von Auskunfts-, Antrags- und Anfechtungsrecht) berechtigterweise viel Kritik erfahren. Die Sondergesetzgebung ist nur noch bis zum 31. August 2022 wirksam und soll nahtlos durch eine dauerhafte Reglung im Aktiengesetz ersetzt werden.

    Bereits am 9. Februar 2022 hatte das Bundesjustizministerium einen Referentenentwurf vorgelegt. Diese hatte das Ziel formuliert, einerseits ein vergleichbares Rechtsausübungsniveau für Aktionäre wie in der Präsenzversammlung zu schaffen, andererseits eine Entzerrung der Versammlung zu erreichen, sprich: Teile der provisorischen Coronagesetzgebung, die insbesondere Fragen und Anträge vor die Hauptversammlung verlagert hat, sollen in das Aktiengesetz überführt werden. Im Vergleich zur Präsenzversammlung schränkte der Referentenentwurf jedoch das Fragerecht weiterhin ein, da z.B. Fragen zu tagesaktuellem Geschehen ausgeschlossen und Nachfragen nur eingeschränkt zulässig sein sollten. Auch etwa die Antragsrechte in der Hauptversammlung sollten nach dem Referentenentwurf teilweise weiterhin eingeschränkt bleiben. Angesichts dieser nicht gebotenen Einschränkungen und dem Weniger an Rechten im Vergleich zur Präsenzhauptversammlung kritisierte unter anderem unser Sozius Dr. Lochner im Schrifttum den Referentenentwurf (Lochner, Referentenentwurf zur virtuellen Hauptversammlung – vergleichbare Rechte wie in der Präsenzversammlung?, AG 2022, S. 320 ff.).

    Am 10. Mai 2022 legten die Koalitionsfraktion einen modifizierten Gesetzesentwurf vor, der inzwischen auch schon im Bundestag verhandelt worden ist (BT-Drucksache 20/1738). Der Vergleich des die Aktionärsrechte noch stark einschränkten Referentenentwurfs mit dem Gesetzesentwurf zeigt, dass sich die Koalitionsfraktionen auf ihren Koalitionsvertrag zurückbesonnen haben. Denn darin hatten sie als gesetzgeberisches Ziel eine dauerhafte Regelung virtueller Hauptversammlungen mit einer „uneingeschränkten“ Wahrung von Aktionärsrechten vereinbart. Der Gesetzesentwurf hat bei den zentralen Kritikpunkten am Referentenentwurf Abhilfe geschaffen: Fragen zu tagesaktuellen Themen sowie unbeschränkte Nachfragen in der Hauptversammlung sollen nunmehr möglich sein. Auch die Einschränkungen des Antragsrechts, die der Referentenentwurf noch vorsah, hat der Gesetzesentwurf zurückgenommen. Der Gesetzgeber schafft dabei allerdings kein festes Format einer virtuellen Hauptversammlung, sondern setzt lediglich einen Rahmen mit Pflicht- bzw. Mindeststandards. So ist z.B. auch eine hybride Hauptversammlung zulässig oder etwa auch eine vollständige Umsetzung der für die Präsenzversammlungen geltenden Reglungen in dem virtuellen Format denkbar. Live-Rede und Live-Abstimmung sollen zukünftig auch bei der virtuellen Hauptversammlung wieder der Maßstab sein.

    Auch wenn der Gesetzesentwurf für die Gestaltung einer virtuellen Hauptversammlung erhebliche Abweichungen vom Ablauf einer Präsenzversammlung zulässt, ist insgesamt festzustellen, dass die Koalitionsfraktionen mit diesem Entwurf ihr selbst gesetztes Ziel einer uneingeschränkten Wahrung der Aktionärsrechte in geeigneter Form erreichen.

    Dr. Daniel Lochner

    In folgendem Newsletter erschienen : Newsletter 4/22

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