Meilicke Hoffmann und Partner - Anwaltskanzlei Bonn

    Newsletter

    BGH-Strafsenat: Entscheidungen von Geschäftsleitern aufgrund mangelhafter Informationsgrundlage können strafbare Untreue sein

    Der BGH hat kürzlich einmal mehr den Blick auf die Pflichten von Geschäftsleitern dahingehend geschärft, dass sie nur auf Grundlage hinreichender Informationen handeln dürfen. Verletzen sie diesen Grundsatz, drohen zivilrechtliche Haftung und Strafbarkeit.

    Worum es ging beim BGH-Fall: Angeklagt war ein (alleiniges) Vorstandsmitglied einer in die Insolvenz gefallenen Aktiengesellschaft (AG). Der wollte einen Vermögensgegenstand der AG verkaufen. Es kam zu dem Geschäft. Dessen Konditionen und die Verkaufsentscheidung als solche waren unangreifbar. Der Angeklagte hatte zur Herbeiführung des Verkaufs für die AG zwei Beratungsverträge abgeschlossen. Nach den getroffenen Feststellungen hatte eines der Beratungsunternehmen nichts Erhebliches für die Veräußerung getan. Gleichwohl bezahlte der Beklagte beide vereinbarungsgemäß, zT nach Ankündigung rechtlicher Schritte. Das Landgericht hatte den Angeklagten vom Vorwurf der Untreue (§ 266 Abs. 1 StGB) freigesprochen. Denn der habe zwar durch die Zahlung objektiv seine Vermögensbetreuungspflicht verletzt (die Voraussetzung einer strafbaren Untreue). Es fehle aber der Vorsatz: Denn der Vorstand habe nicht sicher gewusst, dass das eine Beratungsunternehmen nichts für die Veräußerung getan habe. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft hob der BGH das Urteil auf und wies die Sache an die erste Instanz zurück (BGH Urt. v. 10.02.2022 – 3 StR 329/21).

    Über den Fall hinaus ist für Geschäftsleiter von Bedeutung, was der BGH zu ihren Pflichten schreibt, sich vor der Vornahme von Geschäften hinreichend zu informieren: Der BGH betont zunächst einmal mehr den weiten Handlungsspielraum des Vorstands einer AG, ohne den unternehmerische Tätigkeit undenkbar sei. Geschäftliche Risiken dürften bewusst eingegangen werden, grundsätzlich sei auch die Gefahr von Fehleinschätzungen hinzunehmen. Eine Pflichtverletzung liegt nach dem BGH insb. erst vor bei Überschreitung der Grenzen, in denen sich ein von Verantwortungsbewusstsein getragenes, ausschließlich am Unternehmenswohl orientiertes, auf sorgfältiger Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen beruhendes unternehmerisches Handeln bewegen müsse; Geschäftsleiter dürften die Bereitschaft, unternehmerische Risiken einzugehen, nicht in unverantwortlicher Weise überspannen. Die Grundsätze der Business Judgement Rule (§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG) sind für den BGH auch in strafrechtlicher Hinsicht Maßstab für das Vorliegen einer Pflichtverletzung bei der Untreue (§ 266 Abs. 1 StGB). Danach handelt ein Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung nicht pflichtwidrig, wenn es „vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln“.

    Um die Auslegung dieser Voraussetzung für das Strafrecht ging es zentral in der BGH-Entscheidung. Eine Entscheidung auf unzulänglicher Tatsachengrundlage könne die Pflichtverletzung indizieren. Diese ist nach dem BGH letztlich nur dann zu bejahen, wenn ein „schlechthin unvertretbares Vorstandshandeln vorliegt; der Leitungsfehler muss sich auch einem Außenstehenden förmlich aufdrängen“. Subjektiv reicht nach dem BGH grundsätzlich bedingter Vorsatz; den bejaht er (mit im Einzelnen abweichenden Formulierungen), wenn ein Angeklagter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges „als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt“ und diesen „billigt oder sich des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung zumindest abfindet“, wenn dieses auch „seinen Wünschen nicht entsprochen“ haben möge.

    Die Informationspflicht von Vorstandsmitgliedern verlangt nach dem BGH grundsätzlich, in der konkreten Entscheidungssituation alle verfügbaren Informationsquellen tatsächlicher und rechtlicher Art auszuschöpfen. Auf dieser Grundlage seien die Vor- und Nachteile der für den Geschäftsleiter bestehenden Handlungsoptionen „sorgfältig abzuschätzen und den erkennbaren Risiken Rechnung zu tragen“. Die konkrete Entscheidungssituation sei der Bezugsrahmen des Ausmaßes der Informationspflichten. Notwendig, aber auch ausreichend sei, dass sich der Vorstand unter Berücksichtigung des Faktors Zeit und unter Abwägung der Kosten und Nutzen weiterer Informationsgewinnung eine angemessene Tatsachenbasis verschaffe. Rechtlich sei je nach Bedeutung der Entscheidung eine breitere Informationsbasis zu fordern. Der Vorstand hat nach Sicht des BGH „letztlich“ einen dem konkreten Einzelfall angepassten Spielraum, den Informationsbedarf zur Vorbereitung seiner unternehmerischen Entscheidung selbst abzuwägen. Ausschlaggebend ist nach dem BGH nicht, ob der Geschäftsleiter seine Entscheidung tatsächlich auf der Basis angemessener Informationen getroffen hat und dem Wohle der Gesellschaft diente. Vielmehr reicht, dass der Geschäftsleiter dies „vernünftigerweise annehmen durfte“. Die Beurteilung müsse aus der Sicht eines ordentlichen Geschäftsleiters im Zeitpunkt der Entscheidungsfindung vertretbar erscheinen. In seiner zivilrechtlichen Judikatur verpflichtet der BGH Geschäftsleiter, sich unter Offenlegung des Sachverhalts unabhängig, fachlich qualifiziert beraten lassen und den Rat einer eigenen sorgfältigen Plausibilitätskontrolle zu unterziehen, wenn er nicht selbst über die erforderliche Sachkunde verfügt.

    Obwohl zum Strafrecht ergangen, wird die Entscheidung auf die zivilrechtlichen Haftungsmaßstäbe ausstrahlen. Denn sie konkretisiert die Voraussetzung der Business Judgement Rule. Dabei unterstreicht der BGH, dass Geschäftsleiter sich eine angemessene Tatsachenbasis für ihre Entscheidungen verschaffen müssen. Deren Detaillierungsgrad hängt von den Risiken der Entscheidung für das Unternehmen ab; dabei verlangt der BGH zwar im Grundsatz die Nutzung aller zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen, lässt aber eine Kosten-Nutzen-Abwägung unter Berücksichtigung des Faktors Zeit zu. Das ist ein angemessener Weg in der Gratwanderung zwischen umfassenden Informationspflichten einschließlich deren sorgfältiger Dokumentation und hinreichend effektiver Sanktionierung von Fehlverhalten von Geschäftsleitern.

    Dr. Thomas Heidel

    In folgendem Newsletter erschienen : Newsletter 6/23

    Drucken | Teilen