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Zurechnung von Kapitaleinkünfte nach Nießbrauchsbestellung
Die Übertragung von Gesellschaftsanteilen unter Bestellung von Nießbrauchrechten stellt eine geläufige Strukturierung insbesondere im Bereich der vorweggenommenen Erbfolge dar.
Bislang differenzierte die Finanzverwaltung – im Anschluss an traditionelle BFH-Rechtsprechung – zwischen dem Vorbehaltsnießbrauch (Zurechnung beim Nießbraucher) und dem Zuwendungsnießbrauch (Zurechnung beim zivilrechtlichen Eigentümer). Das BMF hat diese Linie nun in seinem Erlass zu Einzelheiten der Abgeltungssteuer aufgegeben und verlangt – im Gleichklang mit jüngerer Rechtsprechung des IX. Senats des BFH – die Zurechnung beim wirtschaftlichen Eigentümer i.S.d. § 39 Abs. 2 Nr. 1 Abgabenordnung (AO). Maßgeblich seien die tatsächliche Dispositionsbefugnis über die wesentlichen Rechte am Anteil (insb. Gewinnbezugsrecht, Stimmrecht) sowie die Übernahme von Chancen und Risiken der Wertveränderung des Anteils. Die Differenzierung zwischen Zuwendungsnießbrauch und Vorbehaltsnießbrauch wird ausdrücklich aufgegeben.
Die einseitige Berücksichtigung des wirtschaftlichen Eigentumsbegriffs ist kritisch zu beurteilen, da dieser in der klassischen Definition auf einen (finalen) Rechtserwerb und die Partizipation an Substanzwertänderungen abstellt – beides ist beim typischen Nießbraucher jedoch regelmäßig nicht gegeben. Die streng am wirtschaftlichen Eigentum orientierte Sicht ignoriert, dass der Nießbraucher im Regelfall zwar die laufenden Erträge vereinnahmt, aber gerade nicht an Wertsteigerungen/-verlusten partizipiert und auch oftmals keine umfassende Dispositionsbefugnis (insb. Stimmrecht) besitzt.
§ 20 Abs. 5 Satz 3 Einkommensteuergesetz (EStG) ist für den Nießbrauchsfall als lex specialis anzusehen und erfordert einen eigenständigen Zurechnungsmaßstab, der an die Mitgliedschaftsrechte anknüpft. Die Einordnung als wirtschaftlicher Eigentümer ist für den Nießbraucher nicht erforderlich. Vielmehr erscheint eine differenzierende Zurechnung laufender Erträge zum Nießbraucher und Substanzgewinne (insbes. § 17 EStG) zum Anteilseigner sachgerecht. Die Sichtweise des BMF läuft demgegenüber Gefahr, § 20 Abs. 5 Satz 3 EStG praktisch leer laufen zu lassen.
Für die Gestaltungspraxis hat der Kurswechsel gravierende Folgen: In der Mehrzahl der praktischen Fälle – typischerweise Vorbehaltsnießbrauch zur Versorgung des Übergebers – werden zukünftig Dividenden und andere Erträge (entgegen bisheriger Praxis) dem zivilrechtlichen Anteilseigner zugerechnet. Dies ist regelmäßig von den beteiligten nicht gewollt.
Es ist daher zu prüfen, ob bestehende Strukturen und Verträge angepasst werden müssen und z.B. durch ausdrückliche Vereinbarung einer Nettoklausel klargestellt werden sollte, dass dem Nießbraucher nur der nach Steuern verbleibende Gewinnanteil zusteht. Der Meinungsumschwung von BMF und BFH zu einer rein am wirtschaftlichen Eigentum orientierten Zurechnung bei mit Nießbrauch belasteten Gesellschaftsanteilen überzeugt nicht. Für die Praxis entstehen erhebliche Unsicherheiten, und eine gesetzgeberische Klarstellung wäre wünschenswert.
In folgendem Newsletter erschienen : Newsletter 7/25
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