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    Starke Ansage zweier Oberlandesgerichte für Minderheitsschutz in Hauptversammlungen

    Minderheitsschutz in Aktiengesellschaften ist oft eine Uphill Battle. Da setzen zwei Oberlandesgerichte deutliche Zeichen für effektiven Minderheitsschutz, jeweils in Zusammenhang mit Hauptversammlungen, die über die Bestellung eines besonderen Vertreters zur Geltendmachung von Ersatzansprüchen der Gesellschaft gegen ihr herrschendes Unternehmen und Organmitglieder beschließen sollten. Das Oberlandesgericht Frankfurt betont die besondere Bedeutung des Rechts der Minderheit, die Beschlussfassung einer Hauptversammlung gerichtlich zu erzwingen: Nur wenn eindeutig kein rechtmäßiger Beschluss möglich sei, dürfe der Vorstand das Verlangen zurückweisen. Das Oberlandesgericht Düsseldorf befasst sich mit dem Ersatz des satzungsmäßigen Versammlungsleiters (AR-Vorsitzender) durch einen neutralen Leiter: Der komme in Betracht, wenn sich der AR-Vorsitzende bei einer vorherigen Hauptversammlung gravierend fehlverhalten hat.

    OLG Frankfurt: Einberufung einer Hauptversammlung aufgrund Minderheitsverlangens

    Worum ging es? Zunächst zum Frankfurter Fall (OLG Frankfurt, Beschluss vom 7. Juli 2023 – 20 W 93/23, rechtskräftig). Da gab es einen Aktionärsstreit des ca. mit 17 Prozent beteiligten Minderheitsaktionärs auf der einen Seite und andererseits der Mehrheitsaktionärin sowie der von ihr beherrschten Verwaltung. Der Minderheitsaktionär warf der anderen Seite zweierlei vor: Ersten habe sie rechtswidrig Geschäftschancen der Aktiengesellschaft (einschließlich Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, Know-how und geistigem Eigentum, Betriebsmitteln, Personal, Einstieg in bereits bestehende Verhandlungen) auf die herrschende Aktionärin und mit ihr verbundene Unternehmen verlagert; die Aktiengesellschaft habe über die personellen und finanziellen Ressourcen zur eigenen Nutzung dieser Geschäftschancen verfügt. Zweitens habe der Vorstand gegen Wettbewerbsverbote verstoßen. Dadurch sei der Aktiengesellschaft erheblicher Schaden entstanden. Der Minderheitsaktionär hatte die Umstände der von ihm behaupteten Schädigung recht detailliert vorgetragen, auch unter Verweis auf einen Sonderprüfungsbericht. Er verlangte, dass der Vorstand eine Hauptversammlung einberuft. Die solle beschließen, die Ersatzansprüche der Aktiengesellschaft gegen ihre herrschende Aktionärin und gegen ein Vorstandsmitglied gelend zu machen und zur Geltendmachung einen besonderen Vertreter zu bestellen (§ 147 AktG). Der Aktionär verfügte über die formal für ein solches Verlangen erforderliche Kapitalbeteiligung (5 %). Aufgrund eines solchen Verlangens muss der Vorstand die Hauptversammlung einberufen, wenn Aktionäre das verlangen. Der Vorstand weigerte sich einzuberufen. So kam es zum gerichtlichen Verfahren. In der ersten Instanz ist dafür das Amtsgericht zuständig. Schon da war der Minderheitsaktionär erfolgreich. Das Gericht ermächtigte ihn, die Hauptversammlung einzuberufen (§ 122 Abs. 3 AktG). Dagegen gingen die Aktiengesellschaft und die Mehrheitsaktionärin in die Beschwerdeinstanz zum Oberlandesgericht. Auch da blieb ihnen versagt, die Hauptversammlung abzuwehren.

    Das Oberlandesgericht findet deutliche Worte für die engen Grenzen, in denen der Vorstand die Einberufung einer Hauptversammlung aufgrund eines Minderheitsverlangen zurückweisen darf, wenn die Minderheit für das Verlangen die formalen Voraussetzungen erfüllt. Dass die formalen Voraussetzungen erfüllt waren – daran bestand kein ernsthafter Zweifel. Es gab insb. das erforderliche schriftliche Verlangen (die herrschende Meinung verlangt ein im Original unterschriebenes Verlangen, dh Fax, E-Mail etc. sollen nicht genügen). Das erforderliche Quorum war erfüllt. Und die Gründe für die außerordentliche Hauptversammlung waren detailliert genannt.

    Liegen diese Voraussetzungen vor, kann der Vorstand nur in engsten Grenzen das Verlangen zurückweisen. Dazu schreibt das OLG: Vorstand und Gericht dürften nicht prüfen, ob das Verlangen sinnvoll oder zweckmäßig ist. Das Verlangen dürfe aber nur auf die Behandlung solcher Gegenstände gerichtet sein, für die die Hauptversammlung zuständig ist – was eine Selbstverständlichkeit ist. Das Verlangen dürfe zudem „nicht auf die Herbeiführung eines gesetzes- oder satzungswidrigen Hauptversammlungsbeschlusses gerichtet sein“, unterstreicht das OLG im Einklang mit der herrschenden Meinung. Aus der Treuebindung des Aktionärs folge außerdem, dass das Verlangen „nicht rechtsmissbräuchlich sein darf“. Das OLG verlangt bei der Konkretisierung des Rechtsmissbrauchs „im Hinblick darauf Zurückhaltung …, dass der Zweck des Minderheitenschutzes nicht gefährdet werden darf“. Zurückhaltung verlangt es auch bei der Prüfung der Frage, ob das Verlangen auf einen rechtswidrigen Hauptversammlungsbeschlusses ziele; angesichts der Systematik der aktienrechtlichen Rechtsbehelfe und vor dem Hintergrund des Minderheitenschutzes dürfe die Prüfung nicht dazu führen, die in einem eventuellen Anfechtungsprozess vorzunehmende Prüfung der Rechtmäßigkeit des Hauptversammlungsbeschlusses in das Verfahren auf Einberufung der Versammlung vorzuverlagern. Keinesfalls in das Einberufungsverfahren vorverlagert werden dürfe auch die Prüfung, ob der behauptete Grund für die Ersatzansprüche tatsächlich bestehe. Das würde „zu einer unzumutbaren Erschwerung der Rechte des Minderheitsaktionärs führen“; das Einberufungsverfahren diene nicht der Prüfung, „ob etwaige Ansprüche der… (Aktiengesellschaft) tatsächlich bestehen“; das Einberufungsverfahren sei gerade kein „Inzidentprozess“ zur Klärung dieser Frage.

    OLG Düsseldorf: Ersatz des zum Rechtsbruch bereiten satzungsmäßigen Versammlungsleiters

    Worum ging es in Düsseldorf (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21. Juni 2023 – I-3 Wx 83/23, rechtskräftig)? Da ging der Streit nicht unmittelbar um die Einberufung einer Hauptversammlung. Eine Minderheitsaktionärin hatte die Erweiterung der Tagesordnung der bereits einberufenen Hauptversammlung verlangt. Dem war der Vorstand nachgekommen – offenbar weil er eingesehen hatte, dass ein ordnungsgemäßes Einberufungsverlangen vorlag. Die dortige Minderheitsaktionärin hatte aber Sorge, dass der satzungsmäßige Versammlungsleiter (der Aufsichtsratsvorsitzende) nicht die Gewähr biete für eine unparteiische Versammlungsleitung. Auf der Tagesordnung der Hauptversammlung standen nämlich zum einen ein (von der Verwaltung vorgesehener) TOP über die Aufhebung eines vor ein paar Jahren gefassten Beschlusses über die Geltendmachung von Ersatzansprüchen der Aktiengesellschaft nebst Bestellung eines Besonderer Vertreters gegen die herrschende Aktionärin sowie zur Beschlussfassung über die Geltendmachung von Ansprüchen gegen eben diesen Besonderen Vertreter. Zum anderen gab es einen TOP zur Beschlussfassung über die Geltendmachung von Ersatzansprüche gegen Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder der Aktiengesellschaft parallel zu den Ansprüchen gegen ihre herrschende Aktionärin; dieser TOP beruhte auf dem Verlangen der Minderheitsaktionärin. Diese begründete den Antrag auf Ersatz des satzungsmäßigen Versammlungsleiters durch einen neutralen mit der Furcht, dass der satzungsmäßig zur Leitung berufene AR-Vorsitzende rechtswidrig Stimmen der herrschenden Aktionärin trotz ihres Stimmverbots mitzählen und so zu deren Gunsten rechtswidrige Beschlüsse feststellen würde.

    Eine ausdrückliche Rechtsgrundlage für einen solchen Fall der isolierten Bestellung eines Versammlungsleiters kennt das Aktiengesetz nicht. Es behandelt ausdrücklich nur die Konstellation, dass die Gesellschaft die Einberufung der Hauptversammlung verweigert. Dann kann das Gericht die Minderheit zur Einberufung ermächtigen – wie es zB die Frankfurter Gerichte in oben besprochenen Entscheidungen taten. „Zugleich kann das Gericht den Vorsitzenden der Versammlung bestimmen“, heißt es im § 122 Abs. 3 AktG. „Nur“ um diese Frage ging es im Düsseldorfer Verfahren. Banal ist die Frage nicht. Denn der Versammlungsleiter einer Hauptversammlung hat einen kaum zu überschätzenden Einfluss auf die Steuerung der Versammlung und die Gewähr der Aktionärsrechte oder deren Verweigerung. Das Amtsgericht hatte es abgelehnt, gerichtlich einen neutralen Versammlungsleiter zu bestellen. Das gebe der Gesetzeswortlaut nicht her.

    Dem trat das Oberlandesgericht als Beschwerdeinstanz schon einen Tag später entgegen: Das Gericht könne auch ohne Ermächtigung der Minderheit zur Einberufung einer Hauptversammlung isoliert einen Versammlungsleiter bestimmen, „wenn belastbare Anhaltspunkte die dringende Annahme nahelegen, dass der satzungsmäßig berufene Versammlungsleiter die Hauptverhandlung nicht dem Gesetz entsprechend unvoreingenommen und unparteiisch leiten wird“. Für die Wahrung der Rechte der Aktionäre in der Hauptversammlung ist es nach der treffenden Einschätzung des Oberlandesgerichts nämlich unerheblich, „ob das Misstrauen in eine vorschriftmäßige und unparteiische Durchführung der Versammlung daraus resultiert, dass ihre Belange erst unter dem Druck eines angedrohten oder eingeleiteten Ermächtigungsverfahrens … zur Geltung gebracht werden oder ob sich die ernsthaften Bedenken gegen eine unvoreingenommene und korrekte Durchführung der Hauptversammlung aus anderen belastbaren Indizien ergeben“. In dem einen wie in dem anderen Fall könne zur Gewährleistung einer vorschriftsmäßigen Hauptversammlung die gerichtliche Bestimmung eines neutralen Versammlungsleiters notwendig sein.

    Die Notwendigkeit bejahte das Oberlandesgericht mit ungewöhnlich starken Worten: Durchgreifende Zweifel an der Bereitschaft des satzungsmäßigen Versammlungsleiters (des AR-Vorsitzenden) zur ordnungsgemäßen und unparteiischen Versammlungsleitung resultieren aus seiner Verhandlungsführung bei einer 6 Jahre vorher abgehaltenen Hauptversammlung der Gesellschaft. Dort habe der AR-Vorsitzende „unter klarer Missachtung des Stimmverbots … die Stimmen der Hauptaktionärin mitgezählt und dadurch deren Begehren auf Abberufung des Besonderen Vertreters ... einstweilen zum Erfolg verholfen“. (Das OLG Düsseldorf hat Jahre später den damaligen HV-Beschluss für nichtig erklärt, Urteil vom 16.12.2021, I-6 U 87/20.) Es liege nahe, dass der Versammlungsleiter die Position der Mehrheitsaktionärin auch in der anstehenden Hauptversammlung unterstütze. Deren Themen beträfen dasselbe Thema wie die damalige Beschlussfassung. „Dass der Versammlungsleiter zum Rechtsbruch bereit ist“, belege sein Vorgehen in der damaligen Hauptversammlung. Umstände zur Wiederlegung der Wiederholungsgefahr lägen nicht vor. Es gebe keine strafbewehrte Unterlassungserklärung; die Aktiengesellschaft begnüge sich „mit der nichtssagenden und inhaltsleeren Floskel, sie habe ‚Rechtsrat mit dem glaubhaft gemachten Ergebnis eingeholt ..., dass die befürchteten Verstöße gegen das Stimmverbot nicht eintreten werden‘“.

    Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit bestellte das Oberlandesgericht den Versammlungsleiter nicht für die gesamte Hauptversammlung – wie es nach dem Wortlaut des Gesetzes nahelegen würde –, sondern nur für die TOP, die eine Beziehung zu dem Fehlverhalten des AR-Vorsitzenden bei der damaligen Hauptversammlung hatten. Dabei macht das Oberlandesgericht zutreffend keinen Unterschied, ob es sich um TOP handelt, die die Verwaltung auf die Tagesordnung gesetzt hatte, oder die auf dem Minderheitenverlangen beruhen.

    Dr. Thomas Heidel

    In folgendem Newsletter erschienen : Newsletter 7/23

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